Fergus Wooler
14. Dezember 2023
Die Dekarbonisierung des Infrastruktursektors verläuft schleppend – das muss sich ändern
Der kürzlich vom FIDIC-Dachverband veröffentlichte Bericht „Decarbonisation of the Infrastructure Sector“ liefert einen Best-Practice-Ansatz für den gesamten Lebenszyklus von Infrastrukturprojekten mit Schwerpunkt auf Scope-3-Emissionen. Elina Kalliala und Saila Vicente von Ramboll ziehen ein Fazit und zeigen Möglichkeiten zur Überwindung der wichtigsten Hindernisse, die einem umfassenden Wandel bei der Entwicklung einer emissionsarmen Infrastruktur im Wege stehen.
Infrastrukturprojekte sind in der Regel komplex, langwierig und umfangreich, wobei in der Bau-, Wartungs- und Betriebsphase Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima entstehen. Die in diesen Phasen getroffenen Entscheidungen bestimmen häufig die Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen der Projekte.
Da die Infrastruktur zu den größten Verursachern der weltweiten Treibhausgasemissionen zählt, ist der Sektor dringend gefordert, die Dekarbonisierung über den gesamten Lebenszyklus der Anlagen voranzutreiben und einen Beitrag zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels für die globale Erderwärmung zu leisten.
Der von Ramboll und dem Beratungsunternehmen Arcadis gemeinsam verfasste und vom FIDIC-Dachverband im September 2022 herausgegebene Bericht bietet Ingenieurbüros und Auftragnehmern im globalen Infrastruktursektor Hilfestellung bei der Anwendung von Scope-3-Emissionen auf nachgelagerte Tätigkeiten.
Gemeinsam mit Elina Kalliala und Saila Vicente, die den Bericht mitverfasst haben, ziehen wir ein Fazit zu den wichtigsten Erkenntnissen des Berichts.
Elina Kalliala: Ich finde an diesem Bericht einzigartig, dass er Leitlinien für die Reduzierung der CO2-Emissionen in jeder Phase des Projektlebenszyklus enthält. Wenn wir das große Ganze betrachten und verstehen, wie alles zusammenhängt, können wir besser fundierte Entscheidungen darüber treffen, wo wir die Emissionen am meisten beeinflussen können.
Darüber hinaus fordert der Bericht einen grundlegenden Wandel im Hinblick auf unseren bisherigen Umgang mit Infrastruktur.
Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir bestehende Infrastrukturen verbessern oder umnutzen können, bevor wir mit dem Bau neuer Infrastrukturen beginnen. Nur so lässt sich der Embodied-Carbon-Wert reduzieren.
Wenn ein Neubau erforderlich ist, sollte die Konstruktion so schlank und flexibel sein, dass der Materialverbrauch auf ein Mindestmaß begrenzt wird. Außerdem müssen die Planungen auf eine lange Lebensdauer ausgelegt und das gesamte Vorhaben kreislauffähig sein, um sicherzustellen, dass die einzelnen Elemente aus recycelten Materialien stammen und selbst wiederverwendet werden können.
Eine weitere Erkenntnis aus dem Bericht ist die sorgfältige Berücksichtigung der breiteren Auswirkungen der Infrastrukturentwicklung. So verbraucht der Infrastruktursektor beispielsweise mehr als die Hälfte der weltweiten Rohstoffe. Um das in einen Zusammenhang zu setzen, sind die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen für 90 % des Verlusts an biologischer Vielfalt sowie für 50 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auch soziale Aspekte werden oft vernachlässigt, obwohl es die Menschen sind, die Infrastruktur nutzen oder in unmittelbarer Nähe dazu leben.
Saila Vicente: Die Endnutzer:innen spielen eine entscheidende Rolle bei dem kulturellen Wandel, den wir im Zusammenhang mit der Infrastrukturentwicklung so dringend brauchen. Wenn bei Infrastrukturprojekten mehr kreislauffähige Baustoffe zum Einsatz kommen, kann das Ergebnis optisch weniger ansprechend sein, auch wenn die Infrastruktur langlebig und voll funktionsfähig ist. Wir müssen die Endnutzer:innen aktiver informieren und sicherstellen, dass sie die neuen emissionsarmen Verfahren verstehen und annehmen.
In unserer beratenden Funktion sollten wir versuchen, bereits in den frühesten Phasen des Planungsprozesses mit den Entwicklern und Investoren zusammenzuarbeiten. So können wir mehr Einfluss auf die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus der Infrastruktur nehmen und rechtzeitig in Erfahrung bringen, ob neue Infrastrukturen überhaupt notwendig sind.
Elina Kalliala: Ganz allgemein fehlt es noch an Bewusstsein dafür, dass kreislauffähige Ansätze kosteneffizienter sein können. Die Beschaffung nachhaltiger Baustoffe mag mit höheren Investitionen verbunden sein, aber wir können auf zahlreiche Fälle verweisen, in denen mit emissionsarmen Lösungen Einsparungen erzielt wurden.
Um die Kosten weiter zu senken, muss der Markt für kreislauffähige und emissionsarme Materialien schnell wachsen. Aus meiner Sicht braucht es dafür branchenweite Vereinbarungen, damit sich die Unternehmen auf die Beschaffung neuartiger Materialien wie emissionsarmen Beton verpflichten. Dann werden auch die Lieferanten mehr Sicherheit haben und können die Produktion dieser Baustoffe hochfahren.
Saila Vicente: Auch die Verfügbarkeit von Umweltproduktdeklarationen hat Einfluss auf diesen Wandel. Verlässliche Informationen, insbesondere zu den emissionsintensivsten Komponenten, würden die emissionsarme Entwicklung definitiv voranbringen.
Saila Vicente: Die nationalen Rechtsvorschriften rund um Abriss, Abfall und die Erschließung neuer Flächen werden immer strenger. In der EU sind es vor allem der Green Deal und die geplante Kreislaufwirtschaft, die den Wandel vorantreiben.
Meiner Meinung nach braucht es aber zusätzliche Vorschriften, die den Sektor zwingen, den Fokus auf den Erhalt der bestehenden Infrastruktur zu legen und zu hinterfragen, ob ein Neubau wirklich notwendig ist.
Wenn ein Neubau die einzige Option ist, würden alle Beteiligten von politischen Maßnahmen profitieren, die Anreize für Innovationen bei kreislauffähigen Baustoffen schaffen.
Wir sollten die Nachfrage nach solchen Baustoffen anregen, indem wir die technische Normung und die Vorschriften für innovative Materialien anpassungsfähiger machen. So können wir die Risiken beseitigen, die Bauherren und Versicherer aktuell noch mit diesen Ressourcen verbinden.
Elina Kalliala: Das Interesse an neuen Ansätzen und Materialien wird größer, insbesondere dort, wo die Behörden strengere Anforderungen stellen. Mit einem wachsenden Bewusstsein werden die Zusammenhänge zwischen dem potenziellen ökologischen, finanziellen und sozialen Nutzen der Maßnahmen offensichtlicher. Widerstand entsteht, wenn Veränderungen als zu riskant oder komplex angesehen werden. Als Branche müssen wir daher besser auf die Risiken eingehen, die damit verbunden sind, und die Erfahrungen mit neuartigen Ansätzen und Kreislaufmaterialien kommunizieren.
Wir sollten die Unternehmen davon überzeugen, dass die Einführung nachhaltiger Verfahren nicht so komplex ist, wie viele befürchten. Dazu können wir zum Beispiel einen sektorübergreifenden Wissensaustausch anregen, bei dem es um konkrete Maßnahmen, Best Practices und Beispiele geht. Letztlich erhalten sie so die Möglichkeit, den Wandel selbst zu gestalten und anzunehmen.
Den Bericht „Decarbonisation of the Infrastructure Sector“ können Sie hier herunterladen.
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Elina Kalliala
Sustainability Director, Transport
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