Laura Bowler

5. Oktober 2022

Was sind „Scope 4“-Emissionen und weshalb sollte ich mich darum kümmern?

Als ob drei Scopes (Geltungsbereiche) für Treibhausgasemissionen noch nicht genug wären, gewinnt die Diskussion um Scope 4 immer mehr an Fahrt. In diesem Artikel gibt Ihnen unsere Expertin Laura Bowler einen Crashkurs zu diesen „neueren“ Emissionen und hilft Ihnen zu verstehen, ob sie für Ihr Unternehmen relevant sind.

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Emissionen in Scope 1, 2 und 3 – diese Begriffe haben für zahlreiche Stunden Diskussion, Datenerhebung und Berechnungen gesorgt, einmal ganz abgesehen von dem allgemeinen Stress für die Unternehmen nach der ersten Einführung durch das GHG Protocol im Jahr 2001:
„Was bedeuten diese Begriffe?“
„Um welche sollte ich mich kümmern?“
„Sollte ich dazu berichten (und muss ich das)?“
Und nun, da die Unternehmen allmählich den Durchblick bezüglich ihrer Scopes haben, kommt eine neue Diskussion über eine Kategorie von Emissionen auf, die als „Scope 4“ bezeichnet wird.
Noch ein Begriff, den die Unternehmen lernen müssen – oder viel Lärm um nichts? Klären wir zunächst einmal die Definition.
Vermiedene Emissionen außerhalb der Wertschöpfungskette eines Unternehmens
Was also ist gemeint, wenn man von „Scope 4-Emissionen“ spricht? Meist wird dieser Begriff verwendet, um vermiedene Emissionen außerhalb der Wertschöpfungskette eines Unternehmens zu beschreiben. Andere Begriffe, die mitunter in Zusammenhang mit diesem „Scope“ verwendet werden, sind CO2-Handabdruck (Carbon Handprint), klimapositive Emissionen, emissionsarme Produkte und netto-positive Bilanz.
„Vermiedene Emissionen“ ist der Begriff, der in der Regel in offiziellen Emissionsstandards und -konzepten verwendet wird, und deshalb werden wir der Klarheit halber diesen Begriff verwenden.
Was genau sind nun aber vermiedene Emissionen? Der Begriff umfasst Emissionssenkungen, die außerhalb des Lebenszyklus oder der Wertschöpfungskette eines Produkts/einer Dienstleistung stattfinden, die aber auf die Nutzung des Produkts/der Dienstleistung zurückzuführen sind. Es gibt zwei Haupttypen vermiedener Emissionen:
1. Das Produkt ersetzt ein emissionsintensiveres Produkt.
a. Zum Beispiel kann ein Unternehmen, das Telekonferenzdienste anbietet, herkömmliche Reisen zu Präsenzsitzungen ersetzen, was zu geringeren Emissionen führt.
2. Das Produkt ermöglicht Emissionssenkungen an anderer Stelle.
a. Zum Beispiel könnte ein Chemikalienhersteller ein neues Produkt entwickeln, das geringere Temperaturen für eine chemische Reaktion erfordert, was es seiner Kundschaft ermöglicht, in ihren Prozessen weniger Energie zu verbrauchen (und damit geringere Emissionen zu verursachen).
In Scopes 1, 2 und 3 nicht erfasst
Bislang haben sich die meisten Unternehmen auf die Emissionen konzentriert, die sie innerhalb ihrer Wertschöpfungskette verursachen und die sie direkter steuern können:
  • Scope 1: Direkte Emissionen von Treibhausgasen (THG) aus Quellen, die der Kontrolle eines Unternehmens unterliegen
  • Scope 2: Indirekte THG-Emissionen, die mit dem Energieverbrauch des Unternehmens verbunden sind (Einkauf von Strom, Dampf, Wärme oder Kälte)
  • Scope 3: Indirekte Emissionen durch Aktivitäten von Anlagen, die zur Wertschöpfungskette eines Unternehmens gehören (vor- oder nachgelagerte Aktivitäten)
Da vermiedene Emissionen außerhalb der Wertschöpfungskette angesiedelt sind, sind sie komplett von den Scope 1-, 2- und 3-Emissionen eines Unternehmens getrennt und werden in diesen Geltungsbereichen nicht erfasst.
Unternehmen können vermiedene Emissionen verwenden, um Auswirkungen darzulegen, die in einer herkömmlichen Inventarisierung von Treibhausgasen (THG) nicht erfasst würden. Da diese Emissionen jedoch separat zu betrachten sind, können sie nicht zur Kompensation oder Reduzierung von Emissionen in Scope 1, 2 und 3 eingesetzt werden.

Unternehmen können vermiedene Emissionen verwenden, um Auswirkungen darzulegen, die in einem herkömmlichen Treibhausgasinventar nicht erfasst würden. Da diese Emissionen jedoch separat zu betrachten sind, können sie nicht zur Kompensation oder Reduzierung von Emissionen in Scope 1, 2 und 3 eingesetzt werden.

LAURA BOWLER
STRATEGIC SUSTAINABILITY CONSULTANT, RAMBOLL MANAGEMENT CONSULTING.

Schwerpunkt auf positive Auswirkungen
Warum finden Unternehmen vermiedene Emissionen so spannend? Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
  • Sie ermöglichen es einem Unternehmen, seine Auswirkungen auf die Umwelt positiv darzustellen, was zur Stärkung des guten Rufs eines Unternehmens beitragen kann (bei Verbraucher:innen, Lieferant:innen, Mitarbeiter:innen, etc.).
  • Sie können einen Wettbewerbsvorteil in umkämpften Nachhaltigkeitsmärkten bieten.
  • Sie können Unternehmen Orientierung bei der Entscheidungsfindung bieten
Wie aber sieht das in der Praxis aus? Stellen Sie sich ein Bauunternehmen vor, das eine Stadt von Grund auf neu baut. In herkömmlichen Städten sind Gewerbe- von Wohngebieten getrennt, sodass die Bewohner:innen in der Regel von einem Gebiet in das andere fahren müssen, um zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen etc. zu gelangen. Diese Fahrten verursachen höhere THG-Emissionen durch die Bewohner:innen (durch die Benutzung von Autos, Bussen, Zügen etc.).
Wenn ein Bauunternehmen die Struktur so ändert, dass alles innerhalb von 15 Minuten Fußweg von zu Hause aus erreichbar wäre, müssten die Bewohner:innen keine Fahrten mehr unternehmen, um alle Einrichtungen in ihrer Stadt zu erreichen. Die Planungsentscheidung des Bauunternehmens würde zu einer Emissionssenkung für die Stadt führen, die aber nicht in den traditionellen Emissions-Scopes 1, 2 und 3 des Bauunternehmens erfasst würde.
Die Einbindung vermiedener Emissionen in den Stadtplanungsprozess zur Ermittlung der mit den einzelnen Szenarien verbundenen Gesamtemissionen könnte dem Bauunternehmen helfen, die Gesamtauswirkungen seiner Entscheidungen auf die Umwelt zu verstehen. Und wenn das Bauunternehmen beschließt, der Emissionssenkung Vorrang einzuräumen, könnte es die vermiedenen Emissionen öffentlich machen und für die von ihm bewirkten positiven Auswirkungen Anerkennung erhalten. Das ist eine Win-Win-Situation für die Stadt und das Bauunternehmen.
Risiken der Berichterstattung über vermiedene Emissionen
Bei der Berichterstattung über vermiedene Emissionen geht es aber nicht nur um positive Wohlfühlgeschichten über Unternehmen, die das Richtige tun. Die Unternehmen berichten zwar in der Regel über die positiven Auswirkungen, negative Auswirkungen kommen aber ebenso häufig vor.
Ein Unternehmen, das beschließt, über vermiedene Emissionen zu sprechen, stellt möglicherweise fest, dass seine Entscheidung tatsächlich zu höheren Gesamtemissionen geführt hat (entweder in der eigenen Wertschöpfungskette oder anderswo). Das ist zwar wichtig für das Unternehmen, um die Auswirkungen seiner Produkte zu verstehen, aber in der Regel nichts, was Unternehmen besonders hervorgehoben sehen möchten.
Zusätzlich gibt es kein allgemein anerkanntes Konzept für die Schätzung und Berichterstattung bezüglich vermiedener Emissionen, und da die Analyse ein hypothetisches Szenario beinhaltet, ist die Berechnung mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden. Das hat zur Folge, dass es erhebliche Unterschiede in der Berechnung und Kommunikation gibt.
Zusammen mit der Tatsache, dass Unternehmen dazu tendieren, ihre positiven Auswirkungen zu beleuchten, ist unschwer zu erkennen, warum im Zusammenhang mit Aussagen zu vermiedenen Emissionen schnell der Vorwurf von „Greenwashing“ aufkommt.
Zu guter Letzt kann die Berechnung vermiedener Emissionen ein zeit- und ressourcenaufwändiger Prozess sein. Unternehmen, die sich für eine Berichterstattung zu diesem Thema entscheiden, widmen den Emissions-Scopes 1, 2 und 3 unter Umständen weniger Aufmerksamkeit oder Ressourcen. Bevor Unternehmen sich auf ihre vermiedenen Emissionen konzentrieren, sollten sie sicher sein, dass sie die Emissionen innerhalb ihrer Wertschöpfungskette kennen und reduzieren.
Behalten Sie die vermiedenen Emissionen zukünftig im Blick
Um zurück zu unserer ursprünglichen Frage zu kommen: Sollten Unternehmen das Thema vermiedene Emissionen beachten? Die Antwort zum gegenwärtigen Zeitpunkt lautet: Unternehmen sollten sich dieser Emissionen bewusst sein, aber es gibt keinen Grund alles stehen und liegen zu lassen und gleich morgen mit der Berichterstattung zu beginnen.
Die Unternehmen sollten sich weiterhin auf die Scopes 1, 2 und 3 konzentrieren und daran arbeiten, zunächst die Senkungsziele in ihrer eigenen Wertschöpfungskette zu erfüllen.
Behalten Sie das Thema vermiedene Emissionen jedoch im Auge – es rückt immer mehr ins Zentrum des Interesses und könnte schon in naher Zukunft eine größere Rolle spielen. Die Leitlinien zum Thema Emissionen haben in den letzten 20 Jahren schließlich eine enorme Entwicklung erlebt. Was macht da schon ein weiterer „Scope“, den man im Blick behalten muss...?

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  • Laura Bowler

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