Mercedes Beaudoin

12. Juni 2023

Welche Lebenszyklusbeurteilung? Das Risiko inkonsistenter Gebäudebeurteilungen in verschiedenen Regionen

Eine aktuelle Studie vergleicht verschiedene in Europa üblichen Methoden zur Lebenszyklusbeurteilung von Gebäuden. Unsere Expert:innen haben eine Datenbank mit CO2-Fußabdrücken von Gebäuden erstellt, um die Lebenszyklusbeurteilung zu entmystifizieren und Ihnen zu helfen, die Unterschiede zu erkennen.

High-rise buildings under construction in San Francisco

Die bebaute Umwelt hat erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaft und Natur. Lebenszyklusbeurteilung (LCA) ist eine Methode, die häufig eingesetzt wird, um die Umweltauswirkungen von Gebäuden zu bewerten. Sie wird in verschiedenen Ländern allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt.

Die Folge sind inkonsistente Ergebnisse und Umweltauswirkungen, was den Vergleich und das Benchmarking von LCA-Daten für Gebäude erschwert. In den meisten Bereichen der bebauten Umwelt ist es schwierig, fundierte Entscheidungen über die Umweltleistung von Gebäuden zu treffen. Und auch die Politik steht vor der Herausforderung, einheitlichere und wirksamere Rahmenbedingungen zu schaffen.

Um die einzelnen Akteure in der Bauindustrie zu unterstützen, haben Expert:innen von Ramboll unter Berücksichtigung verschiedener LCA-Methoden eine Benchmarking-Datenbank für den CO2-Fußabdruck von Gebäuden entwickeltt Anhand einer Kartierung wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den LCA-Methoden bestimmt, die bei unseren Projekten in Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Großbritannien, Deutschland, dem asiatisch-pazifischen Raum, Mitteleuropa und dem Nahen Osten am häufigsten verwendet wurden.

„Wir hoffen, dass LCAs durch ein besseres Verständnis der Unterschiede in der Lebenszyklusbeurteilung zu einer effektiveren Informationsquelle für die Planung und den Bau nachhaltiger Gebäude werden“, sagt Paul Astle, Decarbonisation Lead bei Ramboll.

Im Folgenden werden die größten Diskrepanzen dargestellt, die wir bei der Analyse der Unterschiede bei den Methoden und Risiken der Lebenszyklusbeurteilung festgestellt haben.

Abweichende Emissionsdaten ergeben sich aus Unterschieden im Anwendungsbereich

In der Vergangenheit wurden LCAs eher zu Dokumentationszwecken oder als Teil der Umweltzertifizierung erstellt. Um die CO2-Reduktionsziele zu erreichen, die für die Erfüllung der Anforderungen des Pariser Abkommens erforderlich sind, müssen Lebenszyklusbeurteilungen bereits in den frühen Phasen und bei der Planung eines Projekts zum Einsatz kommen.

Bei den in der Studie untersuchten LCA-Methoden handelt es sich um Adaptionen und Interpretationen der in der Norm EN 15978:2011 vorgeschlagenen Richtlinien. Die offene Auslegung der Norm und die minimale Definition des Anwendungsbereichs führen zu erheblichen Abweichungen bei den Ergebnissen.

Klicken Sie sich hier durch die wichtigsten Unterschiede beim Anwendungsbereich der LCA-Methoden:

Systemgrenze: Die Systemgrenze bestimmt, welche Prozesse in die Beurteilung eines Gebäudes miteinbezogen werden. Bei Gebäude-LCAs stellt die Systemgrenze die Lebenszyklusphasen eines Gebäudes dar, wie in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 2 zeigt die verschiedenen Anforderungen an die Systemgrenzen der einzelnen Lebenszyklusbeurteilungen in dieser Studie.

Gebäudeelementgruppen: Jede LCA-Methode definiert, welche Gebäudeelemente als Minimum erforderlich sind. Die Unterschiede bei den erforderlichen Gebäudeelementgruppen, die in eine Beurteilung miteinbezogen werden, tragen erheblich zu den Diskrepanzen bei den Ergebnissen bei.

Abbildung 3 zeigt die erforderlichen Gebäudeelemente für jede LCA-Methode, gegliedert nach Elementgruppen, die auf den in der RICS-LCA-Methode verwendeten RICS-Elementen basieren.

Definitionen und Kennzahlen für die Geschossfläche: LCA-Ergebnisse werden in der Regel pro Flächeneinheit angegeben, auch wenn das in der EN 15978:2011 nicht gefordert oder definiert ist. Dennoch ist dieser Ansatz in der Branche üblich. LCA-Methoden nutzen eine Variation der Bruttogeschossfläche (BGF), die vom jeden Land individuell festgelegt werden. Da die BGF zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks eines Gebäudes verwendet wird, um einen Vergleich mit anderen Gebäuden und Benchmarks zu ermöglichen, wirkt sich ihre Definition auf die berechneten Zahlen aus. Abbildung 4 zeigt die jeweiligen BGF-Werte zusammen mit den entsprechenden Gebäudekomponenten. Wir unterteilen die BGF-Definitionen in zwei Kategorien: (1) BGF,die die Außenwandstärke berücksichtigen und (2) BGF ohne Außenwandstärke.

Betrachtungszeiträume: Wie in Abbildung 2 ersichtlich, stellt ein Betrachtungszeitraum die zeitliche Begrenzung einer LCA dar. Betrachtungszeiträume bestimmen die Auswirkungen während der Nutzung einer Ressource (Modul B), einschließlich der voraussichtlichen Austauschzyklen. In der Regel variieren die Zyklen zwischen 50 und 60 Jahren, können aber je nach Gebäudetyp auch 75 bis 100 Jahre umfassen. Betrachtungszeiträume sind besonders wichtig, wenn es gängige Praxis ist, Kennzahlen jährlich zu veröffentlichen.

Auswirkungskategorien: EN 15978 definiert Indikatoren zur Beschreibung der Umweltauswirkungen, des Ressourcenverbrauchs, der Abfallkategorien und der Produktionsströme aus dem System. Diese Umweltindikatoren werden anhand von etablierten LCA-Berechnungsmethoden ausgewählt. Abbildung 5 zeigt die von EN 15978:2011 vorgeschlagenen Wirkungskategorien im Vergleich zu denen der LCA-Methoden. Zwei Wirkungskategorien, die nicht Bestandteil der EN 15978 sind, wurden ergänzt: (1) Gesamtenergieverbrauch und (2) Abfallverarbeitung. Diese Kategorien stammen aus dem Voluntary Sustainability Class Standard und dem BREEAM-Standard.

Die Diskrepanzen in den Definitionen und Anforderungen zwischen den verschiedenen Methoden zeigen eindeutig unterschiedliche Ergebnisse.

Unterschiede in den Ergebnissen: Dänische und schwedische Lebenszyklusbeurteilungen von Gebäuden

Um ein praktisches Beispiel für das Ausmaß der Unterschiede bei den resultierenden CO2- und Umweltauswirkungen zu veranschaulichen, berechnen die Autor:innen der Studie das Treibhausgaspotenzial eines fiktiven Gebäudes anhand von zwei verschiedenen nationalen LCA-Methoden.

Angenommen, Sie entwerfen identische 3.000 Quadratmeter große, dreigeschossige Bürogebäude in Holzrahmenbauweise auf beiden Seiten der Öresundbrücke, die die Meerenge zwischen Dänemark und Schweden überquert. Das Architekturbüro in Dänemark unterliegt den dänischen Bauvorschriften (dänische Bauverordnung von 2023), das Büro in Schweden den schwedischen (Klimatdeklaration). Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 geordnet nach Gebäudeelementen dargestellt.

Tabelle 1: Vergleich des nach dänischen und schwedischen LCA-Vorschriften berechneten Treibhausgaspotenzials für ein Bürogebäude von 3.000 m².
Unterschiedliche Auswirkungen für denselben Gebäudetyp

Die Definitionen für die Geschossfläche sind in Dänemark und Schweden ähnlich. Die Unterschiede in den Ergebnissen sind daher auf Abweichungen bei den Systemgrenzen und Gebäudeelementen zurückzuführen. Die höhere Anzahl von Gebäudeelementen und Lebenszyklusphasen, die sich aus den dänischen Vorschriften ergeben, führen zu einem höheren Gesamt-Treibhausgaspotenzial, selbst wenn man Faktoren wie die Betriebsenergie ausschließt. Werden die Emissionen aus der Betriebsenergie einbezogen, fällt das Treibhausgaspotenzial beim dänischen Gebäude fast dreimal so hoch aus wie beim schwedischen.

In Abbildung 6 werden diese Gebäude verglichen, wobei die Autor:innen sich dabei auf gemeinsame Lebenszyklusphasen (A1–A3) und Gebäudeelementgruppen beschränken. Selbst nach dieser Eingrenzung gibt es noch immer Ergebnisunterschiede, da die dänischen Bestimmungen biogenes CO2 in A1–A3 einschließen. Ein besserer Vergleich würde das biogene CO2 von der Berechnung ausschließen, was jedoch mit den dänischen Daten der Umweltproduktdeklarationen derzeit nicht möglich ist. Von A1–A3 können daher nur Unterkonstruktionen verglichen werden, die keine biogenen CO2-Elemente enthalten. Trotzdem bleiben erhebliche Unterschiede bestehen, die auf unterschiedliche Datensätze und die Anwendung des Abzugswerts auf die in der schwedischen Methode verwendeten generischen Daten zurückzuführen sind.

Abbildung 6: Anpassung des Anwendungsbereichs, um Gebäude besser vergleichbar zu machen

Dieses Beispiel eines identischen Gebäudes zeigt die potenzielle Verzerrung, die beim Vergleich verschiedener LCA-Ansätze entsteht. Je nach Definitionen und Anwendungsbereich könnte entweder das dänische oder das schwedische Gebäude als umweltfreundlicher gelten. In der Theorie unterscheiden sich die beiden Gebäude nicht voneinander und auch ihr Embodied-Carbon-Wert sollte nahezu identisch sein. Und doch sind sie es nicht.

Transparenz für die Zukunft der Lebenszyklusbeurteilung von Gebäuden

Die Vielzahl und Inkonsistenz der verwendeten LCA-Methoden sowie ihre unterschiedlichen Auslegungen führen zu erheblichen Konflikten bei der Deklaration von CO2-Werten. Die langfristige Lösung besteht darin, die Vereinheitlichung verschiedener Methoden voranzutreiben. Gelingen kann das vor allem durch die Anwendung einheitlicher Definitionen des Anwendungsbereichs für die am Bau beteiligten Akteure. Bis dahin bleibt die Möglichkeit, Lebenszyklusbereiche und -grenzen zu trennen, insbesondere bei der Beurteilung der Gebäudeleistung und dem Vergleich von Lösungen.

Möchten Sie mehr erfahren?

  • Paul Astle

    Decarbonisation Lead

    +44 7436 545367

    Paul Astle
  • Astrid Eriksen

    Student Assistant

    Astrid Eriksen