Vanessa Ludden, Kristina Broens
12. Dezember 2022
Die Gewinner und Verlierer der Klimapolitik: Wie kann ein gerechter Übergang gelingen?
Zumindest auf kurze Sicht werden die Vorteile und die Kosten der Klimapolitik ungleich zwischen den Haushalten und Einkommensgruppen verteilt sein, was zu Gewinnern und Verlierern führt. In diesem Artikel empfehlen unsere Expert:innen wichtige politische Maßnahmen zur Risikominderung, um einen gerechteren Übergang zu gewährleisten.
Der Klimawandel ist eine unbestreitbare Realität unserer Zeit. Um den ökologischen Wandel zu unterstützen, braucht es politische Maßnahmen auf allen Ebenen – international, EU-weit, national, regional sowie auf lokaler Ebene. Allerdings geht die Klimapolitik auch mit sozialen Kosten einher, die für die schwächsten Gruppen der Gesellschaft unverhältnismäßig hoch sein können.
In diesem Zusammenhang sind die Forderungen nach einem gerechten Übergang, bei dem niemand zurückgelassen wird und der die sozialen und disruptiven Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt, in den letzten Jahrzehnten lauter geworden. Dieser Artikel soll die Problematik anhand von Beispielen verdeutlichen, Möglichkeiten zum Ausgleich negativer sozialer Auswirkungen der Klimapolitik aufzeigen und damit wichtige politische Handlungsempfehlungen geben.
In den letzten Jahrzehnten war der Klimawandel überall auf der Welt zu spüren, ob in der Natur, bei den Ozeanen oder in unserer Gesellschaft. Die Forschung zeigt, dass sich dieser Wandel in Zukunft noch weiter verschärfen wird. Er wird zu einer Veränderung der Ökosysteme, einer Unterbrechung der Nahrungsmittelproduktion und der Wasserversorgung, zu Schäden an Infrastruktur und Siedlungen sowie zu einem Anstieg der Morbidität und Mortalität führen und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen haben.
Um auf diese ökologischen Herausforderungen zu reagieren und den Übergang zu einer nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Wirtschaft zu gewährleisten, sind umfassende politische Maßnahmen erforderlich. Die Umstellung der Volkswirtschaften auf nachhaltigere Produktions- und Verbrauchsmuster, wie es in der Klimapolitik auf allen Ebenen diskutiert wird, hat jedoch einen sozialen und wirtschaftlichen Preis.
Mittel- bis langfristig könnte der Gesamtnutzen der Klimapolitik diese Kosten überwiegen, kurzfristig hingegen werden Nutzen und Kosten ungleich zwischen den Haushalten und Einkommensgruppen verteilt sein, was zu Gewinnern und Verlierern führt.
Menschen, die sozial, wirtschaftlich, kulturell, politisch, institutionell oder anderweitig an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, leiden am meisten unter den Folgen des Klimawandels und den damit verbundenen politischen Maßnahmen. Sie werden sehr wahrscheinlich zu den Verlierern der Klimapolitik gehören. Dafür gibt es zwei Gründe.
Benachteiligte Gruppen reagieren empfindlicher auf den Klimawandel und die damit einhergehenden politischen Reaktionen und sind insgesamt weniger anpassungsfähig. Diese besondere Anfälligkeit ergibt sich aus verschiedenen sozialen Prozessen, die zu Ungleichheiten in Bezug auf den sozioökonomischen Status, das verfügbare Einkommen und die individuelle Exposition führen. Soziale Merkmale wie Alter, Klasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und Einkommen überschneiden sich hier und schaffen Ungleichheit auf mehreren Ebenen.
Die Schnittmenge dieser Ungleichheiten führt dazu, dass sie sich gegenseitig verstärken und schließlich eine Eigendynamik entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die ungleiche Einkommensverteilung, die sich mit hoher Wahrscheinlich auf die Gesundheit, den Zugang zu Bildung und das Lebensumfeld der Menschen auswirkt.
Kurzfristig hingegen werden Nutzen und Kosten ungleich zwischen den Haushalten und Einkommensgruppen verteilt sein, was zu Gewinnern und Verlierern führt.
Weniger benachteiligte Gruppen haben tendenziell leichter Zugang zu besserer Bildung, besseren Arbeitsplätzen und besserer Gesundheitsversorgung als Menschen, die nicht die gleichen Chancen haben. Dadurch nehmen die Ungleichheiten bei Bildungsstand, Einkommen und Gesundheit weiter zu. Die sich überschneidenden Dimensionen der Ungleichheit sind somit Triebkräfte für Anfälligkeit auf mehreren Ebenen.
Vor diesem Hintergrund steigt die Anfälligkeit der Menschen gegenüber dem Klimawandel und der Klimapolitik, wenn ihre Ausgangsbedingungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Anpassung begrenzt sind.
Sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der angewandten Politikforschung wurden zahlreiche soziale Auswirkungen identifiziert, die klimapolitische Maßnahmen auf EU- und Mitgliedstaatenebene haben können, auch für solche benachteiligten Gruppen. So zielen beispielsweise mehrere Klimaschutzmaßnahmen darauf ab, die Energienachfrage durch Preiserhöhungen zu senken.
Haushalte mit niedrigem Einkommen geben zwar in absoluten Zahlen weniger aus, müssen aber oft einen höheren Teil ihres Einkommens für Energiekosten (vor allem Heizung und Strom) aufwenden. In Verbindung mit einem Rückgang der verfügbaren Haushaltseinkommen stellen Energiepreiserhöhungen eine erhebliche Belastung für Menschen mit niedrigem Einkommen dar.
Der Kohleausstieg ist hier ein konkretes und sektorspezifisches Beispiel für die negativen Auswirkungen des Klimaschutzes.
Der endgültige Ausstieg aus dem Kohlebergbau dürfte negative Auswirkungen auf die umliegenden Gemeinden haben, deren Lebensunterhalt von der Förderung und Nutzung von Rohstoffen wie Kohle, Torf oder Ölschiefer abhängt.
Im Jahr 2018 waren in 21 Mitgliedstaaten (108 europäische Regionen, NUTS-2-Ebene) schätzungsweise 237.000 Menschen direkt im Kohlesektor beschäftigt1 . Die Zahl der indirekten Arbeitsplätze, die vom Kohlegeschäft abhängig sind, lag bei rund 215.000. Die direkte Beschäftigung im Kohlebergbau ist in Europa stark konzentriert: In 20 der 108 Regionen mit Kohleinfrastruktur sind mehr als 80 % der Arbeitskräfte in diesem Sektor beschäftigt.
Viele dieser Arbeitsplätze werden in den nächsten 10 Jahren wegfallen, sowohl in den direkten als auch in den indirekten Bereichen. Durch die Stilllegung von Kohlekraftwerken könnten im kommenden Jahrzehnt rund 34.000 direkte Arbeitsplätze im Kraftwerksbetrieb verlorengehen. Das sind 64 % der geschätzten derzeitigen Beschäftigung in diesem Bereich (52.000 Arbeitsplätze). Außerdem besteht Schätzungen zufolge für etwa 59 % der Beschäftigten im Kohlebergbau ein hohes Risiko, in den nächsten 10 Jahren entlassen zu werden.
Mit wenigen Ausnahmen am stärksten betroffen werden die Regionen in Osteuropa sein, von denen die meisten ein niedrigeres regionales Pro-Kopf-BIP aufweisen als der jeweilige nationale Durchschnitt. Das zeigt, wie wichtig es ist, diese Regionen während des Übergangs zu unterstützen
Angesichts der nachteiligen sozialen Auswirkungen, die sich aus den klimapolitischen Maßnahmen ergeben können, hat der Fokus auf die Integration sozialer Erwägungen in die Umweltpolitik in den letzten Jahren zugenommen. In diesem Zusammenhang gewinnt ein gerechter Übergang, bei dem die sozialen und verteilungspolitischen Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt werden, damit niemand zurückgelassen wird, immer mehr an Bedeutung.
Der Umgang mit den durch die Klimapolitik hervorgerufenen Ungleichheiten erfordert einen neuen politischen Ansatz auf allen Ebenen: EU, national, regional und lokal. Soziale Ungleichheiten müssen über den gesamten Politikzyklus hinweg berücksichtigt und durch angemessene Ausgleichsmaßnahmen aufgefangen werden.
Es gibt zahlreiche potenzielle Ausgleichsmaßnahmen. Auch wenn keine dieser Maßnahmen für sich allein besser ist als andere, hängt der geeignete Ansatz vom jeweiligen Kontext der einzelnen Situationen ab. Gängige Ausgleichsmaßnahmen sind die Rückverteilung von Einnahmen, Steuerbefreiungen sowie strukturelle und ganzheitliche Anpassungshilfen.
Die Rückverteilung von Einnahmen dürfte die beliebteste Form von Ausgleichsmaßnahmen sein. Sie umfasst die Zweckbindung von Steuereinnahmen und trägt dazu bei, die durch die Einführung der Steuer verursachten Marktverzerrungen und negativen Verteilungseffekte zu korrigieren.
- Differenzierte Zuführung an die Haushalte, um eine Umverteilung der Ressourcen an Gruppen zu ermöglichen, die von der Politik besonders betroffen sind. Eine Alternative könnten Pauschalzahlungen an die Haushalte sein, die jedoch die Regressivität einer Steuer nicht verbessern, sondern die Kluft zwischen den Einkommensgruppen aufrechterhalten.
- Senkung von Lohnsteuern, Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträgen, um die Einkommensungleichheit zu verringern.
- Einführung von Entlassungsbeihilfen, Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Vorruhestandsleistungen, Überbrückungsleistungen und Unterstützung im Krankheitsfall, um die wirtschaftlichen Verluste für Beschäftigte zu begrenzen.
Über Ausnahmeregelungen können bestimmte Gruppen dauerhaft oder vorübergehend von bestimmten Klimaschutzmaßnahmen ausgenommen werden. So können beispielsweise sozial schwächere Haushalte von einem aufgeschobenen Inkrafttreten neuer Regeln profitieren, indem sie die Steuern oder Abgaben erst später zahlen müssen als andere. Alternativ könnte eine stufenweise Befreiung dafür sorgen, dass für besonders benachteiligte Gruppen niedrigere Steuersätze gelten, die im Laufe der Zeit dann ansteigen.
Strukturelle Anpassungshilfen können Geld- oder Sachleistungen sein, die sicherstellen, dass die von der Klimapolitik besonders betroffenen Haushalte sich besser an die neuen Marktbedingungen anpassen können.
Die Unterstützung kann in verschiedener Form gewährt werden, zum Beispiel durch subventionierte energieeffiziente, emissionsarme Technologien und andere Mechanismen (Net-Metering-Systeme, Einspeisetarife und Mehrwertsteuerermäßigungen). Darüber hinaus können Investitionen in Forschung und Entwicklung, etwa in Form von Investitionen in neue Kompetenzen, Infrastruktur und Innovation, den Übergang bestimmter Gemeinden zu einer emissionsarmen Wirtschaft erleichtern.
Grundsätzlich umfassen Anpassungshilfen Sachleistungen oder finanzielle Zuwendungen, um besonders stark betroffenen Gruppen dabei zu helfen, „das gesamte Spektrum der anerkannten Verluste – darunter auch nicht finanzielle externe Ressourcen, intrinsisch wertvolle Güter sowie geistige und körperliche Funktionen – zu reduzieren bzw. sich entsprechend anzupassen“2.
In diesem Zusammenhang können verschiedene Instrumente zum Einsatz kommen, darunter psychologische und berufliche Beratung für betroffene Beschäftigte und ihre Angehörigen. Mittelfristig sollte auch eine Umschulung der betroffenen Erwerbstätigen vorgesehen werden, um die Anpassung an den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dabei sollte der Schwerpunkt möglichst auf Weiterbildung am Arbeitsplatz liegen. Investitionen in soziale, kulturelle und ökologische Güter im unmittelbaren Umfeld sind eine weitere Form der Anpassungshilfe.
Auch in Zukunft werden Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels sowie zur Anpassung an dessen Folgen für den Übergang zu einer emissionsarmen, klimaresistenten Wirtschaft entscheidend sein. Kontinuierliche Investitionen in die Erforschung der sozialen Auswirkungen entsprechender Maßnahmen sind daher wichtig, um negative Auswirkungen zu verringern und einen gerechteren Übergang zu gewährleisten.
Hier sollte bereits in der Phase der Politikgestaltung sichergestellt werden, dass alle möglichen Verflechtungen, positiven und negativen Spillover-Effekte und Verteilungsergebnisse einer Klimapolitik untersucht werden. Gleichzeitig sollten eine regelmäßige Überwachung der Auswirkungen der eingeführten Maßnahmen und eine Bewertung ihrer Wirksamkeit erfolgen.
Ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-/nationaler sowie lokaler/regionaler Verwaltungsebene ist unerlässlich, damit negative Auswirkungen der Klimapolitik wirksam kompensiert werden. Daher sollten Synergien zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen geschaffen und gestärkt werden.
Ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-/nationaler sowie lokaler/regionaler Verwaltungsebene ist unerlässlich, damit negative Auswirkungen der Klimapolitik wirksam kompensiert werden.
Passgenaue Ausgleichsmaßnahmen können dann weiter dazu beitragen, den negativen sozialen Folgen von Anpassungs- und Risikominderungsmaßnahmen entgegenzuwirken. Es ist wichtig, dass die Ausgleichsmaßnahmen an den lokalen sozioökonomischen Kontext der jeweiligen Zielgruppen angepasst sind. Gleichzeitig sollten sie so flexibel sein, dass Änderungen bei den Zielen und Ambitionen der Klimaschutzpolitik berücksichtigt werden können.
Grundsätzlich sollten Maßnahmen, mit denen potenziell Umverteilungseffekte erzielt werden, wann immer möglich bevorzugt werden. Die Politik sollte sich stärker um Richtlinien und Maßnahmen bemühen, die sowohl soziale als auch ökologische Belange berücksichtigen, wobei die Integration sozialer Erwägungen bereits zu Beginn des Politikzyklus zur Norm werden sollte. Dafür ist jedoch ein grundlegender Mentalitätswandel in den politischen Entscheidungsprozessen erforderlich. Damit dieser möglich wird, muss das Bewusstsein dafür geschärft werden, warum eine solche Integration überhaupt notwendig ist.
Um Fortschritte auf dem Weg zu einem gerechten Übergang zu erzielen, sind erhebliche gesellschaftliche Veränderungen notwendig. Aus diesem Grund müssen die Menschen über die aktuelle Politik, die Beweggründe und ihren kollektiven Beitrag zu diesem Ziel informiert werden. Neue partizipatorische Prozesse, die alle Beteiligten (Sozialpartner, lokale Gemeinden, NGOs, Bürger:innen) einbeziehen, werden entscheidend sein, um die öffentliche Akzeptanz der Maßnahmen und deren Gesamterfolg sicherzustellen.
Ramboll (2021), Social Impacts of Climate Mitigation Policies and Outcomes in Terms of Inequality Burke J., Fankhauser S., Kazaglis A., Kessler L., Khandelwal N., Bolk J., O’Boyle P. und Owen A. (2020), „Distributional impacts of a carbon tax in the UK: Report 2 – Analysis by income decile“ Oueslati, W., et al. (2016), „Exploring the relationship between environmentally related taxes and inequality in income sources: An empirical cross-country analysis“ Berry A. (2019), „The distributional effects of a carbon tax and its impact on fuel poverty: A microsimulation study in the French context“ OECD (2019), „Financing climate objectives in cities and regions to deliver sustainable and inclusive growth“ Green F. und Gambhir A. (2020), „Transitional assistance policies for just, equitable and smooth low-carbon transitions: who, what and how?“
1) Alves Dias, P., Kanellopoulos, K., Medarac, H., Kapetaki, Z., Miranda Barbosa, E., Shortall, R., Czako, V., Telsnig, T., Vazquez Hernandez, C., Lacal Arantegui, R., Nijs, W., Gonzalez Aparicio, I., Trombetti, M., Mandras, G., Peteves, E. und Tzimas, E. (2018), EU coal regions: opportunities and challenges ahead, EUR 29292 EN, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, doi:10.2760/064809
2) Green, F. (2018), Transition policy for climate change mitigation: who, what, why and how, CCEP Arbeitspapier 1807. Crawford School of Public Policy, The Australian National University
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