Line Dybdal, Sanni N. Breining

18. August 2020

Was ist soziale Nachhaltigkeit?

Um diesen Trendbegriff einzugrenzen, untersuchen wir in diesem Artikel, worum es bei sozialer Nachhaltigkeit im Wesentlichen geht. Zwei Ramboll Expertinnen nehmen Stellung und geben Einblicke in die soziale Nachhaltigkeit.

Hot summer day in the city. School children are having fun playing in the city fountains after school.

von Martin Christiansen

Lust auf eine schöne heiße Tasse Kaffee bei einer guten Lektüre?

Dann denken Sie doch einmal über fair gehandelten Kaffee nach und machen Sie sich bewusst, dass sich viele Verbraucher:innen schon länger für sozial nachhaltige Produkte interessieren, als wir vielleicht annehmen. Oder nehmen wir die Modeindustrie als weiteres Beispiel, die nach einer Reihe von Ausbeutungsskandalen die Rechte der Arbeiter:innen verbessert hat. Das war lange bevor die Industrie sich darum kümmerte, nachhaltige Baumwolle zu verwenden oder entdeckte, dass man alte Fischernetze zur Herstellung von Sportbekleidung verwenden kann.

Ein alter oder neuer Trend?

Die Definition von sozialer Nachhaltigkeit ist so einfach wie ein Kreisverkehr in einer Millionenstadt. Staus und Umleitungen gehören zum Vorwärtskommen dazu. Der Begriff der sozialen Nachhaltigkeit ist zwar „neu“ und in einigen Bereichen und Industrien im Aufwärtstrend, aber bei Stadtplaner:innen und Architekt:innen scheint er schon seit Jahrzehnten präsent zu sein.

„Es ist schwierig, einen Raum zu gestalten, der keine Menschen anzieht. Und es ist bemerkenswert, wie oft dies bereits gelungen ist."

So schrieb William H. Whyte in dem vor 30 Jahren veröffentlichten Buch The Social Life of Public Spaces (Das soziale Leben öffentlicher Räume)

Soziale Nachhaltigkeit ist jedoch weit mehr als Orte für Menschen zu schaffen - und dabei manchmal zu scheitern. Aber was genau ist soziale Nachhaltigkeit und warum sollte sie uns interessieren?

Ein Mittel zur Messung des Fortschritts

Seit 1989 arbeitet eine wachsende Anzahl an Unternehmensführer:innen, Politiker:innen, Nichtregierungsorganisationen, Berater:innen und vielen anderen an einem Triple-Bottom-Line-Ansatz. Sie streben danach, alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, wenn sie Initiativen starten, über Fortschritte berichten oder neue Strategien und Richtlinien entwickeln.

Doch die aus dem Brundtland-Bericht abgeleitete soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimension der Nachhaltigkeit ist weit weniger harmonisch, als uns das klassische, perfekt ausbalancierte Venn-Diagramm vorgaukelt.

Vielleicht ist es eher wie bei drei Geschwistern: Wenn die Wirtschaft der dominante, respektierte ältere Bruder ist, dann ist die Umwelt die faszinierende, sich freimütiger ausdrückende jüngere Schwester und das Soziale als mittleres Kind zwischen den beiden eingequetscht wird häufig übersehen.

Das könnte sich bald ändern. Denn es wird immer deutlicher, dass Nachhaltigkeit nicht nur grün ist. Es geht nicht nur um erneuerbare Energien, verantwortungsvollen Konsum, Wiederverwendung, Klimaneutralität und so weiter – so wichtig diese Aspekte auch sind.

Line Dybdal, eine der Expertinnen für soziale Nachhaltigkeit bei Ramboll, erklärt, dass vor fünf Jahren etwas Wichtiges geschah, als die Vereinten Nationen die Ziele für nachhaltige Entwicklung unter dem Motto „Niemanden zurücklassen“ einführten:

„Damit stellten die Vereinten Nationen auf einmal Ziele und Vorgaben in Bezug auf persönliche Gesundheit und Wohlbefinden, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter und Verringerung von Ungleichheiten in friedlichen und gerechten Gesellschaften und einiges mehr in den Vordergrund. Wenn man nämlich zum Beispiel mit Bürgermeister:innen spricht und ihnen zuhört, wird deutlich, dass die zunehmenden sozialen Spannungen und ein gebrochener Gesellschaftsvertrag ebenso viel Kopfzerbrechen bereiten wie der Klimawandel, die rasante Urbanisierung oder die demografischen Veränderungen, die die öffentlichen Finanzen belasten.“

Die sozialen Aspekte sind der Schlüssel zur Realisierung wirklich nachhaltiger Lösungen

Das heißt, dass sich eine Gesellschaft nicht nachhaltig entwickeln kann, wenn sie nicht auch sozial nachhaltig wird. Aber was macht die soziale Nachhaltigkeit aus?

In Line Dybdals Worten ist die soziale Nachhaltigkeit eine Verpflichtung zur Schaffung von sicheren, gesunden und integrativen Institutionen, Gemeinschaften und Gesellschaften, in denen alle Bürger:innen ihr volles Potenzial ausschöpfen können - ohne die lebenden und zukünftigen Generationen zu gefährden.

„Es geht darum, politische Maßnahmen, Strategien und Veränderungen zu entwerfen und umzusetzen, die die Chancengleichheit aller fördern, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, politischer Einstellung, sexueller Orientierung oder Behinderung, und die den Gesellschaftsvertrag stärken, indem sie Vertrauen in unsere Institutionen, sozialen Zusammenhalt und gegenseitigen Respekt aufbauen,“ sagt sie.

Erschließung des vollen Potenzials der Menschen

Soziale Nachhaltigkeit braucht es überall. In Grundschulen und in der Weiterbildung, im Gesundheitswesen, im Wohnungsbau sowie in der Stadtplanung und am Arbeitsplatz.

„Bezogen auf einen reaktiven Ansatz, geht es bei der sozialen Nachhaltigkeit darum, den Menschen keinen Schaden zuzufügen und keine weiteren Ungleichheiten zu schaffen. Aus proaktiver Sicht, hingegen, ist soziale Nachhaltigkeit eine Initiative zum aktiven Abbau und zur Überwindung bestehender Ungleichheiten, die es jedem ermöglichen, sein volles Potenzial als Individuum in einer relationalen Welt zu entfalten,“ erklärt Line Dybdal.

Ein übergreifender Diskurs

Das ist die Sichtweise aus der Praxis. Einige Wissenschaftler:innen bezeichnen die soziale Nachhaltigkeit als einen übergreifenden oder „Regenschirm“-Diskurs. Dieser Schirm spannt sich über Konzepte wie soziale Gleichheit und Gerechtigkeit, sozialen Zusammenhalt, Sozialkapital, soziale Ausgrenzung, Lebensqualität und urbane Lebensqualität. Vielleicht in Anlehnung an diese konzeptionelle Unordentlichkeit betrachten einige Wissenschaftler:innen die soziale Nachhaltigkeit sogar als ein Konzept im Chaos. Darin liegt ein Teil des Problems. Was nicht leicht zu verstehen ist, ist auch nicht leicht zu verwalten. Führungskräfte wissen das nur zu gut.

Für Unternehmen gehört es zum Alltag, die Auswirkungen ihrer Geschäfte auf die Finanzlage zu verstehen. Dies zeigt sich in der Gewinn- und Verlustrechnung und allen wirtschaftlichen Indikatoren dazwischen. Doch mit Hilfe von Expert:innen für Nachhaltigkeitsberatung werden auch die Auswirkungen eines Unternehmens auf die Umwelt immer deutlicher. Und daher verfolgbar und verwaltbar.

Bei der sozialen Nachhaltigkeit ist dies noch nicht der Fall, denn Gerechtigkeit, Vielfalt, faire Arbeitspraktiken, soziale Sicherheit, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und viele andere Themen sind nicht leicht zu quantifizieren.

Aber es ist machbar – zumindest aus gesellschaftlicher Sicht.

Zuteilung der richtigen Ressourcen

Aus einer Perspektive der sozialen Rendite argumentiert Ph.D. Sanni Breining von Ramboll, dass es eine wirtschaftliche Grundtatsache ist, dass Gesellschaften mit knappen Ressourcen auskommen müssen. Daher müssen sie ständig entscheiden, wie sie ihre Ressourcen am effizientesten einsetzen, was auch bei Investitionen in soziale Nachhaltigkeit der Fall ist. Sie sagt:

„Aus diesem Grund ist es wichtig, zu überwachen, ob die von uns eingeleiteten Maßnahmen die erwarteten Erträge erbringen. Und ich spreche nicht nur von finanzieller Rendite, sondern - ebenso wichtig - von sozialem Gewinn. Das möchte ich ausdrücklich betonen.“

Sanni Breining arbeitet als Sozioökonomin bei Ramboll Management Consulting. Ein Beruf, in dem es im Wesentlichen darum geht, soziale Interventionen mit Zahlen zu unterlegen. Wie hoch ist zum Beispiel die Kapitalrendite, wenn man frühzeitig in gefährdete Jugendliche investiert und ihnen eine bessere Ausbildung oder Beschäftigungsförderung bietet?

„Indem wir uns für diese „Perspektive der sozialen Rendite“ stark machen, stellen wir sicher, dass wir unsere Ressourcen in Aktivitäten investieren, die langfristige gesellschaftliche Auswirkungen haben und in erster Linie den Menschen und damit auch der Wirtschaft im Allgemeinen zugute kommen. Meines Erachtens ist das ein nachhaltiges Denken.“

Einigung auf einen gemeinsamen Ansatz

Bei der ökologischen Nachhaltigkeit ist das Spielfeld abgesteckt. Ein paar radikale Stimmen mögen die vom Menschen verursachte globale Erwärmung noch immer bestreiten, und Klimamaßnahmen können viele Formen annehmen; aber 1,5 Grad sind 1,5 Grad und eine Tonne CO2 ist eine Tonne, egal ob in Berlin, Bogota oder Brisbane.

Natürlich gibt es einige gängige Instrumente, wie z. B. die Zertifizierungssysteme BREEAM und DGNB, die beide soziale Aspekte einbeziehen; und da ist auch S-LCA, die so genannte soziale Lebenszyklusanalyse.

Doch es wird deutlich, dass bei der Suche nach mehr Informationen über soziale Nachhaltigkeit die Informationsquelle von entscheidender Bedeutung ist, um festzustellen, ob wir von sozialer Nachhaltigkeit im Sinne eines auf den Menschen ausgerichteten Ansatzes bei der Stadtgestaltung, einer sozialsystemischen Sichtweise auf komplexe Interaktionen in einer Gesellschaft oder vielleicht einer „sozialdemokratischen Linse“ mit gleichen Chancen für alle sprechen. Und es gibt noch viele weitere Perspektiven.

Unabhängig von der Sichtweise scheint die soziale Nachhaltigkeit jedoch im Zuge des allgemeinen Strebens nach einer nachhaltigeren Gesellschaft an Bedeutung zu gewinnen. Die Frage ist, ob ein einheitlicherer Ansatz für soziale Nachhaltigkeit diese Entwicklung fördern oder bremsen würde. Die Zeit wird es zeigen.

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  • Line Dybdal

    Country Market Director in Denmark for Ramboll Management Consulting

    +45 51 61 78 54

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  • Sanni N. Breining

    Director Sustainable Economics

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    Sanni N. Breining