Patrick Moloney

28. Juni 2023

Doppelte Wesentlichkeit & die CSRD - Was wir bisher gelernt haben

Die komplexen Anforderungen der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und der zugehörigen ESRS (European Sustainability Reporting Standards) lassen viele Unternehmen derzeit im Unklaren. Was ist erforderlich? Wann und wie sind sie anzuwenden? Wo soll man überhaupt anfangen? Zwei unserer Expert:innen reflektieren in diesem Beitrag Erkenntnisse, die wir aus unserer bisherigen Arbeit mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen vor allem in Bezug auf die doppelte Wesentlichkeit gewinnen konnten.

Der Ausgangspunkt für alle Unternehmen bei der Implementierung der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und den damit verbundenen Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) ist die Bestimmung des Umfangs („Scoping“) sowie die Durchführung einer doppelten Wesentlichkeitsanalyse beziehungsweise die Prüfung der aktuellen Wesentlichkeitsanalyse.
Beim Scoping geht es vor allem darum, den rechtlichen und operativen Umfang der Berichterstattung zu bestimmen sowie sich über die Ziele, die mit dem Bericht erreicht werden sollen, klar zu werden. In diesem Zusammenhang geht es auch darum, sich Gedanken über den Umfang der doppelten Wesentlichkeitsanalyse zu machen, mit der die Auswirkungen sowie die finanziellen Risiken und Chancen analysiert und bestimmt werden.
Die heiße „Reporting-Phase“ des Jahres ist mittlerweile vorbei und die Unternehmen können sich nun auf die Vorbereitung der Berichterstattung für das Jahr 2023 und 2024 konzentrieren. Viele haben bereits mit einer Überprüfung ihrer Wesentlichkeitsanalyse und/oder Durchführung ihrer doppelten Wesentlichkeitsanalyse begonnen. Im Folgenden werden wir einige der wichtigsten Erkenntnisse, die wir bisher gewonnen haben, vorstellen. Bisher in kursiv, da diese Liste mit der Zeit sicher länger werden wird.
1. Beginnen Sie mit der Darstellung des eigenen Geschäftsmodells und der Wertschöpfungskette, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln
Es ist besonders wichtig so früh wie möglich im Prozess, das Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette eines Unternehmens darzustellen, um ein gemeinsames Verständnis und einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu schaffen. Die meisten großen Unternehmen sind es gewohnt, ihr Geschäftsmodell in ihren Jahresberichten darzustellen, damit die berichteten Informationen in einen Zusammenhang gestellt werden.
Die Wertschöpfungskette wird in der Regel jedoch nicht in diese Übersicht mit einbezogen. Vor der Einführung der CSRD war die Wertschöpfungskette auch in der Nachhaltigkeitsberichtserstattung von geringerer Relevanz. Hinzu kommt, dass es eine heraufordernde Aufgabe ist, komplexe globale Wertschöpfungsketten in einer verständlichen Übersicht darzustellen.
Bei der doppelten Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der CSRD ist das oft einer unserer ersten Schritte: Die Erweiterung der Darstellung des Geschäftsmodells eines Unternehmens, um einen Überblick über das Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette zu erhalten. Es empfiehlt sich, die Darstellung kompakt und möglichst auf einer Seite zu halten, damit sichergestellt wird, dass alle relevanten Elemente berücksichtigt werden. Dieses Verständnis stellt dann den Ausgangspunkt und den gemeinsamen Bezugspunkt für alle dar, die an der Bestimmung der wesentlichen Themen eines Unternehmens mitwirken.
2. Fokussieren Sie sich auf Qualität statt auf Quantität bei der Einbindung von Stakeholdern
Qualität ist wichtiger als Quantität, wenn es um die Einbindung externer Stakeholder geht. Klassische Wesentlichkeitsanalysen gleichen oft einem Wettbewerb darüber, wer die meisten Stakeholder befragt oder interviewt hat.
Dies ist nicht das Ziel der Übung und kann in der Tat eine Verschwendung wertvoller Ressourcen sein. Doppelte Wesentlichkeitsanalysen konzentrieren sich stärker auf die tatsächlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen, weshalb sie mehr Fachwissen und weniger Meinungen erfordern.
Die Einbindung der betroffenen Interessengruppen ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für den Gesamtprozess. Der Schwerpunkt sollte auf der Auswahl der richtigen Stakeholder liegen, die legitime Repräsentanten der am meisten betroffenen Stakeholdergruppen sind. Darüber hinaus kann insbesondere die Einbindung von Stakeholdergruppen, mit denen das Unternehmen im Alltag wenig zu tun hat, einen größeren Mehrwert für die Bewertung darstellen als die bloße Anzahl der befragten Stakeholder.
3. Gewinnen Sie Effizienz durch "Mapping"-Workshops
Die Bewertung erfordert die Identifizierung von (potenziellen) wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen in Bezug auf die zehn ESRS und deren „Sub-Topics“ sowie "Sub-Sub-Topics“. Doch wo soll man anfangen? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass „Mapping-Workshops" mit einer breiten Gruppe interner Stakeholder, die verschiedene Geschäftsbereiche repräsentieren und gemeinsam das Wissen eines Unternehmens zu Nachhaltigkeitsthemen ausmachen, einen guten und effizienten Anfang für die Wesentlichkeitsanalyse darstellt.

„Die meisten Unternehmen, die jetzt anfangen sich mit der doppelten Wesentlichkeitsanalyse zu beschäftigen, sind bereits recht spät dran.“

CAROLINE KÖTTER
CSRD-EXPERTIN, RAMBOLL MANAGEMENT CONSULTING

4. Nutzen Sie vorhandenen Bewertungen und Unternehmensexpert:innen
Die meisten Unternehmen, die jetzt anfangen sich mit der doppelten Wesentlichkeitsanalyse zu beschäftigen, sind bereits recht spät dran (je nach dem, ab wann sie unter die CSRD fallen). Folglich bleibt oft nur wenig Zeit für tiefgehende Recherchen sowie für detaillierte Bewertungen der vielfältigen Themen der ESRS-Standards. Interne oder externe Expert:innen mit Erfahrung und Fachwissen über den Sektor und die spezifischen Nachhaltigkeitsthemen sind daher der Schlüssel für die Erstellung einer qualitativ hochwertigen Bewertung in einem kurzen Zeitrahmen.
Die Bewertung lässt sich zudem weiter beschleunigen, indem man auf bestehende Bewertungen des Unternehmens zurückzugreift, z. B. Klimarisikobewertungen für die Anpassung an den Klimawandel, CO2-Fußabdrücke für die Wesentlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen, Übersichten zu Materialflüssen für die Themen Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, Bewertungen der Auswirkungen auf die Menschenrechte oder Mitarbeiterbefragungen für verschiedene soziale Themen. Man muss das Rad nicht neu erfinden: Vieles von dem, was ein Unternehmen bereits hinsichtlich Nachhaltigkeit tut, wird nützlich und anwendbar sein. Es geht darum, bestehende Praktiken und Prozesse zu verbessern und nicht zwingend völlig neue zu entwickeln.
5. Unterschätzen Sie nicht die benötigte Zeit und das Budget
Der zusätzliche Zeit- und Kostenaufwand für eine detaillierte doppelte Wesentlichkeitsanalyse zahlt sich aus. Zusätzliche Ressourcen für die Durchführung einer gründlicheren doppelten Wesentlichkeitsanalyse sind gut investiert, da eine von Anfang an solide durchgeführte Bewertung dazu beiträgt, dass die CSRD effizient umgesetzt wird und unnötige oder doppelte Arbeit in Zukunft vermieden wird. Wenn nur begrenzte Daten vorhanden sind, neigen Unternehmen gerne dazu, mehr Themen als nötig als wesentlich einzustufen, im Glauben dadurch würden sie Verstöße aufgrund einer zu dünnen Berichterstattung vermeiden.
Wenn man es von Anfang an richtig macht, definiert man die für das Unternehmen relevanten KPIs, setzt zielführende und durchdachte Systeme für die Datenerfassung und Berichterstattung auf und fokussiert sich auf die relevanten Themen, unabhängig von der Aktualisierung der Richtlinien.
6. Nutzen Sie aktuelle Risikomanagement-Rahmenwerke
Zur Bewertung der finanziellen Wesentlichkeit können die aktuellen Risikomanagement-Rahmenwerke eines Unternehmens herangezogen werden. Die Bewertungen des Risikomanagements der Unternehmen basieren in der Regel auf dem Ausmaß der finanziellen Auswirkungen und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit - mit anderen Worten, auf denselben Dimensionen wie die finanzielle Wesentlichkeit nach der CSRD. Bei all den Änderungen, die die CSRD bereits mit sich bringt, besteht in den meisten Fällen keine Notwendigkeit, den Umsetzungsaufwand durch die Einführung eines neuen Rahmens für die Bewertung finanzieller Risiken (und Chancen) zu erhöhen, wenn Unternehmen bereits über ein bewährtes Instrument für genau denselben Zweck außerhalb des Nachhaltigkeitskontexts verfügen.
In einigen Fällen wurden die Instrumente sogar bereits auf ausgewählte Nachhaltigkeitshemen, wie z. B. das Klima, angewandt. Darüber hinaus macht die Verwendung desselben Rahmens finanzielle Risiken und Chancen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsthemen besser vergleichbar mit denen außerhalb des Nachhaltigkeitsbereichs. Daher überwiegen die Vorteile der Verwendung des etablierten Risikomanagementsystems für die Bewertung der finanziellen Wesentlichkeit in der Regel die möglichen Zweifel.
7. Denken Sie an die Dokumentation für die Prüfung
Mit der CSRD wird eine externe Prüfung von Nachhaltigkeitsinformationen erstmalig verpflichtend. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist als Grundlage für die Berichterstattung dabei von besonderer Bedeutung. Der Prozess, die Methodik und die Ergebnisse müssen gut nachvollziehbar dokumentiert werden. Es ist zu empfehlen, sich bereits vor dem Beginn des Projekts, Gedanken über die Art und Form der Dokumentation für die eigenen Zwecke, aber auch zur Erleichterung der Prüfung zu machen. Im Laufe der Jahre wird dann in der Regel nach dem Feedback der Prüfer:innen ein Format festgelegt. Auch wenn die Prüfer:innen vielleicht keine Expert:innen für Menschenrechte oder biologische Vielfalt sind, sind ihre Prüfungskompetenzen und ihr Feedback von großem Vorteil, um die Zuverlässigkeit der Daten und Informationen systematisch sicherzustellen.
Die Prüfung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse wird zeitlich vor der eigentlichen Berichterstattung, das heißt noch im Berichtsjahr, erfolgen. Sollten Anpassungen erforderlich sein, kann dies noch im Laufe der Vorbereitungen der Berichterstattung abgestimmt werden, um sicherzustellen, dass die externe Prüfung erfolgreich ausfällt.
Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Doppelte-Wesentlichkeits-Checkliste, in der die wichtigsten Anforderungen und deren Einhaltung zusammengefasst sind, den Prüfer:innen hilft, Ihr Vorgehen nachzuvollziehen. Indem Sie eine Checkliste zusammenstellen, die alle Anforderungen für die doppelte Wesentlichkeitsbeurteilung in der CSRD, den ESRS, den zehn thematischen Standards und den jeweiligen Anhängen enthält, können Sie nachweisen, dass Sie den Überblick über alle Anforderungen haben und zeigen, wie sie diese eingehalten und umgesetzt haben.
Den Blick nach vorne gerichtet: wählen Sie eine schrittweise Vorgehensweise
Seien Sie beruhigt – Sie stehen nicht allein den Herausforderungen der CSRD gegenüber. Das Ausmaß und die Komplexität werden vielen Unternehmen erst jetzt klar. Aber eine wichtige Erkenntnis, die wir gemacht haben, ist: Gehen Sie „eins nach dem anderen an“. Beginnen Sie mit dem Scoping und der doppelten Wesentlichkeit, seien Sie geduldig und gründlich, aber auch realistisch und pragmatisch. Stellen Sie sicher, dass alle Entscheidungen, die in diesen frühen Phasen der CSRD-Integration getroffen werden, logisch und klar formuliert und gut dokumentiert sind.
Und wie bereits erwähnt: Nutzen Sie bestehende Bewertungen, Rahmenwerke und - nicht zuletzt – Expert:innen, um die Einführung zu erleichtern. Zusammenzuarbeiten, wenn es schon nicht doppelt so viel Spaß bringt, ist zumindest belohnender und zielführender - auch wenn es um die doppelte Wesentlichkeit und die neuen Berichtsstandards geht.

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  • Anja Kubeneck

    Senior Consultant, Ramboll Management Consulting

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  • Patrick Moloney

    Director, Strategic Sustainability Consulting

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