Anja Kubeneck, Leoni Gros, Saskia Burwieck
25. Juli 2023
Doppelte Wesentlichkeitsanalyse: Welchen Unterschied sie macht
Die CSRD wird zurecht mit zahlreichen Neuerungen und Herausforderungen in Verbindung gebracht. Dazu zählt auch die doppelte Wesentlichkeitsanalyse. Viele Unternehmen fragen sich, was sich dahinter verbirgt und wie genau sie funktioniert. In diesem Artikel geben unsere Expertinnen Antworten auf diese Fragen und zeigen, welchen Unterschied die doppelte Wesentlichkeitsanalyse macht.
Die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten und verpflichtet bereits ab 2024 erste Unternehmen dazu ihre Anforderungen zu erfüllen. Betroffen sind zunächst alle Unternehmen, die bereits heute nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen.
Jedoch werden mit der CSRD die bestehenden Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erheblich erweitert: Alle an einem EU-regulierten Markt notierten Unternehmen (mit Ausnahme von Kleinstunternehmen) werden sukzessive von der neuen Berichtspflicht erfasst. Zudem werden alle nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen von der CSRD erfasst, wenn sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen:
- Bilanzsumme > 20 Mio. Euro
- Nettoumsatzerlöse > 40 Mio. Euro
- Zahl der Beschäftigten > 250
Betroffen sind damit rund 50.000 Unternehmen in der EU, davon 15.000 allein in Deutschland.
Darüber hinaus gibt es mit der CSRD nicht mehr die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsinformationen in einem separaten nichtfinanziellen Bericht zu veröffentlichen. Unternehmen müssen zukünftig im Lagebericht detaillierte Informationen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) offenlegen. Die neuen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) dienen dabei als inhaltliche Leitlinien für die Berichterstattung und Themenpool für die Wesentlichkeitsanalyse. Welche Themen für welches Unternehmen relevant sind, muss durch die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ermittelt werden. Die Bezeichnungen Nichtfinanzielle Erklärung oder Nichtfinanzielle Berichterstattung werden nicht mehr verwendet, weil sie dem Charakter der Informationen nicht gerecht werden.
Die CSRD verpflichtet zur doppelten Wesentlichkeitsanalyse, um sicherzustellen, dass Unternehmen die Transparenzanforderungen nicht nach ihrem subjektiven Empfinden oder Interesse auslegen und damit auch, um die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsberichte zu erhöhen. Viele Unternehmen fragen sich daher, was sich hinter der Qualifizierung „doppelt wesentlich“ verbirgt und wie der Prozess aussehen muss, mit dem doppelt wesentliche Themen identifiziert werden sollen.
Grundsätzlich dient eine Wesentlichkeitsanalyse dazu, die für ein Unternehmen und seine Stakeholder wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen zu ermitteln. Dabei werden die aus den Nachhaltigkeitsaspekten resultierenden Risiken und Chancen für das Unternehmen und die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf die Nachhaltigkeitsaspekte bewertet.
Nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit müssen damit zwei unterschiedliche, aber sich sinnvoll ergänzende Perspektiven berücksichtigt werden:
- Die Inside-Out Perspektive („Impact Materiality“)
- Die Outside-In Perspektive („Financial Materiality“)
Aus der Inside-Out Perspektive müssen Unternehmen die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Umwelt und die Gesellschaft bewerten. Relevante Themen können hier Umweltverschmutzung oder die Vertreibung von lokalen Gemeinschaften sein. Anwendende der GRI-Standards sollten mit dieser Perspektive bereits vertraut sein.
Aus der Outside-In-Perspektive betrachtet, werden die externen Einwirkungen von nachhaltigkeitsrelevanten Themen auf das Unternehmen und dessen Geschäftsmodell bewertet. Das können zum Beispiel Risiken aus der zunehmenden Regulierung und den entsprechenden Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasemissionen sein, die für Unternehmen über Steuern oder Geldstrafen negative finanzielle Auswirkungen bedeuten.
Die gleichgewichtete Bewertung dieser zwei Perspektiven ist auch für die berichtspflichtigen Unternehmen von Vorteil, denn sie lässt die Ableitung der besonders geschäftsrelevanten und berichtsrelevanten Nachhaltigkeitsthemen zu.
Für deutsche Unternehmen, die bereits unter die NFRD-Berichtspflicht fallen, ist das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit nicht neu. In Deutschland hatte der Gesetzgeber die Vorgaben aus der NFRD so interpretiert, dass in der nationalen Umsetzung bereits eine Verpflichtung zur doppelten Wesentlichkeit aufgenommen wurde. Trotzdem gibt es auch für die damit vertrauten Anwendenden einen Unterschied zur CSRD:
Unter der NFRD ist ein Thema erst dann als wesentlich zu betrachten, wenn es in beiden Perspektiven (Inside-Out und Outside-In) wesentliche Auswirkungen verursacht. Unter den Vorgaben der CSRD reicht es hingegen zukünftig, wenn ein Thema in einer der beiden Perspektiven als wesentlich gilt. Ein Nachhaltigkeitsthema ist also wesentlich, wenn es aus der Impact-Perspektive oder der Financial-Perspektive oder aus beiden Perspektiven wesentlich ist. Durch diese Änderung werden zukünftig mehr Themen als wesentlich eingestuft. Die Anzahl der berichtspflichtigen Inhalte und damit der Berichtsaufwand werden dadurch maßgeblich ausgeweitet.
Die Bewertung soll unter Einbezug von relevanten Stakeholder-Gruppen und Expert:innen und unter Rückgriff auf wissenschaftliche und analytische Wirkungsanalysen erfolgen. Zur Bewertung wesentlicher negativer ESG-Themen sollen sich Unternehmen darüber hinaus an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen orientieren.
Für Unternehmen, die nach GRI berichten, sind bereits mit dem neuen GRI 2021 einige detaillierte und allgemeingültige Offenlegungen verpflichtend geworden (sogenannte „General Disclosures“). Auch die CSRD und die ESRS fordern vergleichbare (jedoch noch weitergehende) Pflichtangaben. Völlig unabhängig von der Wesentlichkeitsanalyse gibt es damit allgemeine Themen, die alle Unternehmen berichten müssen – die General Disclosures (ESRS 2). Hierzu zählen unter anderem Angaben zur nachhaltigen Unternehmensführung (Govenance) und damit der Offenlegung, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen gemanagt und überwacht wird sowie eine Beschreibung zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten (Due Diligence) im Zusammenhang mit wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen. Auch gilt es das Geschäftsmodell inklusive der Wertschöpfungskette und dessen Auswirkungen, Risiken und Chancen hinsichtlich Nachhaltigkeit zu beschreiben.
Wichtig: In den Entwürfen von November 2022 wurden mit den ESRS auch thematische Schwerpunkte gesetzt. Somit hieß es in dem Entwurf z. B. noch, dass jedes Unternehmen zum ESRS E1 Climate Change berichten muss, und es galt eine Pflicht zur Berichterstattung für den ESRS S1 Own Workforce bei einer Belegschaft von min. 250 Mitarbeitenden.
Die EU-Kommission hat inzwischen ihre Konsultationsphase beendet und im Juni 2023 ihre Überarbeitungen der ESRS-Entwürfe vom November 2022 vorgestellt. Eine signifikante Änderung ist die Abschaffung von Pflichtthemen in der Berichterstattung mit Ausnahme der oben beschriebenen General Disclosures (ESRS 2). Die Öffentlichkeit hatte die Möglichkeit bis zum 7. Juli 2023 Stellungnahmen einzureichen. Setzt sich der überarbeitete Entwurf durch, gewinnt die doppelte Wesentlichkeitsanalyse noch mehr an Bedeutung und Komplexität.
Erkennen Unternehmen die Bedeutung der doppelten Wesentlichkeit für ihre Strategie und Managementkonzepte, fällt es ihnen leichter eine geeignete Methode zu wählen, mit der die Analyse objektiv und prüfsicher durchgeführt werden kann. In der Regel holt man sich einen externen, neutralen Partner zur Unterstützung, der darauf achtet, dass die notwendige Objektivität gewahrt wird und die Methode und Vorgehensweise dokumentiert.
Nach der Identifikation der doppelt wesentlichen Themen, werden die Nachhaltigkeitsleistungen eines Unternehmens offengelegt, die zum Verständnis der wesentlichen Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf und auch der Wirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft erforderlich sind. Sollten nach Akzeptanz des aktuellen überarbeiteten Entwurfs nun Pflichtthemen für die Berichterstattung entfallen, wird umso mehr das berichtende Unternehmen in die Pflicht genommen, eine solide doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, um am Ende nicht aufgrund fehlender Angaben im Bericht in den Augen der externen Stakeholder schlechter dazustehen als die Wettbewerber. In jedem Fall liefern die neuen Berichtsstandards einen umfangreichen Katalog an Nachhaltigkeitsthemen mit standardisierten Offenlegungsanforderungen und zielen darauf ab, die Willkür in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Gefahr des Greenwashings zu reduzieren.
Aufgrund der Komplexität einer CSRD-konformen Berichterstattung ist es ratsam, frühzeitig (das heißt 2023), eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, um ausreichend Zeit zu haben, die fehlenden Daten zu den Berichtsanforderungen zu erheben und für die Berichterstattung auszuwerten. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse auf Grundlage der vielschichtigen ESRS-Themen (einschließlich „Sub-topics“ und „Sub-sub-topics“) fordert fundiertes Fachwissen und Branchenkenntnisse. Es ist empfehlenswert, sich beratende Expert:innen für die Konzeption und Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse zu suchen, die sich auch mit den sozialen und naturwissenschaftlichen Key Perfomance Indikatoren auskennen, die für die Berichterstattung zu berücksichtigen sind.
Nur so kann anhand der Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse eine zuverlässige Priorisierung der wesentlichen Themen sowie eine strategische Ausrichtung für die nächsten Jahre definiert werden.
Für weitere Hintergründe und Informationen zur neuen Berichterstattungspflicht (CSRD), werfen Sie auch gerne einen Blick in unseren Quick Guide.
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Anja Kubeneck
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