Torben Kulasingam

23. Juli 2024

Dringend benötigt: Bauvorschriften zur Reversibilität und Anpassungsfähigkeit von Baustoffen

Torben Kulasingam, Senior Engineer im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei Ramboll, erklärt, warum Dänemark eine neue Gesetzgebung zur Förderung der Kreislaufwirtschaft in der lokalen Bauindustrie braucht.

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Nur 4 % der dänischen Wirtschaft sind kreislauffähig. Das bedeutet, dass von dem gesamten Material, das in Dänemark jedes Jahr verbraucht wird, nur 4 % in recycelter Form in die Wirtschaft zurückkehren. Dieser Wert liegt deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt von 7,2 %. Die Zahlen wurden im vergangenen Jahr im Circularity Gap Report Denmark veröffentlicht, herausgegeben von Circle Economy1. Zum ersten Mal lieferte die Studie eine Gesamtbewertung der Kreislaufwirtschaft, des Ressourcenverbrauchs und der Auswirkungen des Verbrauchs in Bezug auf die CO2-Emissionen in Dänemark. Der größte Verursacher ist die dänische Bauindustrie mit 31 % des Materialverbrauchs und 17 % der gesamten CO2-Emissionen im Land. Weniger als 1 % der Baustoffe und Bauteile wird derzeit wiederverwendet.

Da liegt es auf der Hand, dass wir unsere Bemühungen um die Kreislaufwirtschaft intensivieren müssen. Leider basiert der Hoch- und Tiefbausektor überwiegend auf einem linearen Wirtschaftsmodell, was zu einer ineffizienten Ressourcennutzung und einem hohen Abfallaufkommen führt.

Immer wieder stellen wir fest, dass ein entscheidender Aspekt der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen übersehen wird. Dabei geht es um die „Reversibilität“ von Gebäuden, also die Frage, ob sie sich leicht zurückbauen lassen und verschiedene Bauteile wiederverwendet werden können. Derzeit liegt der Schwerpunkt auf primären Baustoffen, wie Beton, Holz und Stahl, da bei vielen Entwicklungsprojekten die Optimierung des Materialeinsatzes in Strukturelementen im Vordergrund steht. Dieser Fokus ist wichtig und sollte beibehalten werden. Allerdings besteht noch ungenutztes Potenzial in sekundären Gebäudeteilen, wie Böden, Decken und Fassaden, sowie in der Wiederverwendung der zugrundeliegenden Baustoffe. Diese haben einen relativ kurzen Lebenszyklus und werden daher häufiger ersetzt oder repariert.

Kreislaufinitiativen können die CO2-Emissionen um 38 % senken

Einer Studie der unabhängigen, gemeinnützigen Ellen MacArthur Foundation zufolge können Kreislaufinitiativen, einschließlich Trennung und Anpassung, zu einer Verringerung der CO2-Emissionen um 38 % bis 2050 beitragen2. Diese deutliche Verringerung würde sich aus der geringeren Nachfrage nach wichtigen Baustoffen wie Stahl, Aluminium, Zement und Kunststoff ergeben, die alle einen großen Beitrag zu den CO2-Emissionen im Bauwesen leisten​. Eine Studie des Teknologisk Institut3 zeigt, dass durch die direkte Wiederverwendung, etwa von Bauteilen wie Fenstern, CO2-Einsparungen von 98 bis 99 % möglich sind.

Sekundäre Bauelemente sind aufgrund ihrer kürzeren Lebensdauer und ihres modularen Aufbaus ein zentraler Bestandteil der Kreislaufagenda. Schon bald dürften sie sich zu einer wichtigen Baustoffquelle entwickeln, zumal Anpassungen und Austauschmaßnahmen immer wahrscheinlicher werden als ein Abriss.

Wenn neue Konstruktionen trennbar sein sollen, müssen sie effizient und einfach beschaffen sein. Das heißt, sie sollten aus einer begrenzten Anzahl verschiedener Baustoffarten und möglichst wenigen Schichten bestehen. Außerdem sollten die Baugruppen möglichst simpel gehalten sein. So ist beispielsweise eine einfache Systemdecke, bestehend aus losen Platten, die von Aluminiumschienen getragen werden, viel leichter zugänglich, anpassbar und trennbar als eine Decke mit verdeckten Fugen. Hier wäre der Aufwand größer, wenn Anpassungen für neue Funktionen, bei Schäden oberhalb der Decke oder für einen Abriss erforderlich werden. Fassaden mit Abhängesystemen lassen sich leichter wiederverwenden als genagelte oder geschraubte Ausführungen, bei denen es mit der Zeit schwieriger wird, die Materialien zu trennen und 1:1 wiederzuverwenden.

Bauvorschriften sollten Reversibilität vorgeben

In Dänemark gilt derzeit die ISO-Norm über die Berücksichtigung von Rückbaubarkeit und Anpassbarkeit bei der Bauplanung. Auf der Grundlage von zehn Konstruktionsprinzipien gibt diese Norm vor, wie Gebäude zu planen und zu konstruieren sind, damit Bauteile getrennt, wiederverwendet und recycelt werden können, was den Wert der einzelnen Baustoffe erhöht. Darüber hinaus gelten die Umweltziele der EU-Taxonomie für die Kreislaufwirtschaft, mit der die Anpassungsfähigkeit und Rückbaubarkeit von Bauteilen und Baustoffen anhand einer punktebasierten Bewertung mit prozentualer Einstufung gemessen wird.

Darauf sollten wir uns jedoch nicht ausruhen. Das Konzept, bei dem Materialien in der Wertschöpfungskette bleiben und nicht zu Abfall werden, sollte nicht nur eine Empfehlung sein, sondern Teil der dänischen Gesetzgebung. Unsere Hoffnung war, dass die jüngsten Verhandlungen über die neuen dänischen Bauvorschriften für 2025 Anforderungen an die „Reversibilität“ und Anpassungsfähigkeit von Baustoffen enthalten würden. Das hätte bedeutet, dass nicht nur die CO2-Bilanz über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes berücksichtigt wird, wie es derzeit im Rahmen der Lebenszyklusbeurteilung (LCA) der Fall ist, sondern auch die Möglichkeit von Wiederverwendung und Recycling in verschiedenen Konstruktionen. Die im Juni 2024 veröffentlichte Fassung enthält jedoch leider keine derartigen Anforderungen.

Aktuell berücksichtigen die dänischen Bauvorschriften4 keine CO2- und Ressourceneinsparungen, die durch die Wiederverwendung von Baustoffen nach deren Lebensdauer möglich wären. Eine verbindliche Regelung für die Reversibilität von Baustoffen würde einen Anreiz schaffen, sich bereits in den frühen Planungsphasen mit der individuellen Lebensdauer der Materialien zu befassen, und so das Potenzial für die Wiederverwendung im Rahmen eines möglichen Umbaus zu erhöhen. Ähnlich wie die LCA-Anforderung für einen gewissen Druck hinsichtlich der Planungsparameter eines Bauprojekts sorgt, könnten Vorgaben für die „Reversibilität“ von Baustoffen zu einem Umdenken in der Planungsphase führen.

Jedes Gebäude verdient Respekt. Schließlich kann es in zehn, 20 oder 30 Jahren teilweise oder in großem Umfang zum Bau eines neuen Gebäudes beitragen, wodurch CO2-Emissionen und der Abbau neuer Ressourcen vermieden werden. Wenn wir die Materialien die Planung der einzelnen Gebäudekomponenten bestimmen lassen und dafür sorgen, dass die Konstruktion später wieder zu einer anderen beitragen kann, dann schließen wir Ressourcenkreisläufe und unterstützen den Verbleib von Baustoffen in der Wertschöpfungskette, anstatt diese nur zu entsorgen. Letztlich ist das ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der aktuell 1%igen Kreislaufquote in der dänischen Bauindustrie.

[1] CGR Denmark (circularity-gap.world)

[2] The circular economy: a missing piece in city climate action plans? (ellenmacarthurfoundation.org)

[3] Samlet notat_final (teknologisk.dk)

„Unsere Hoffnung war, dass die jüngsten Verhandlungen über die neuen dänischen Bauvorschriften für 2025 Anforderungen an die „Reversibilität“ und Anpassungsfähigkeit von Baustoffen enthalten würden … Die im Juni 2024 veröffentlichte Fassung enthält jedoch leider keine derartigen Anforderungen.“

Torben Kulasingam
Senior Engineer im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei Ramboll

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