Jack Robinson, Thomas Trier

20. Februar 2022

Warum ein gerechter Übergang Teil jeder Net-Zero-Strategie eines Unternehmens sein muss

Immer mehr Unternehmen entwickeln Net-Zero-Strategien und setzen sich wissenschaftlich fundierte Ziele im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese neuen Strategien einen gerechten Übergang für die Arbeitskräfte und die lokalen Gemeinden ermöglichen. Die Alternative wäre ein ungeordneter, ungerechter und letztlich kostspieliger Übergang für die Unternehmen.

picture looking down at people in a city park
Von Jack Robinson und Thomas Trier Hansen
Wie sieht eine gerechter Übergang aus?
Die Wissenschaft war sich noch nie so sicher, dass ein Abwenden von den fossilen Brennstoffen und eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen notwendig sind. Die Länder, die Unternehmen, die Städte und die Menschen müssen alle daran mitwirken. Wenn wir beginnen, die Nähte der fossilen Brennstoffe aufzutrennen, die das Gefüge der Gesellschaft seit Jahrhunderten zusammenhalten, wird es Gewinner geben – aber auch Verlierer.
Große Teile der Gesellschaft sind für ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise von fossilen Brennstoffen abhängig. Diejenigen, die ein Leben lang in mit fossilen Brennstoffen betriebenen Branchen gearbeitet haben, werden es schwer haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ein einziges Unternehmen, eine Fabrik oder ein Industriezweig kann der Motor einer Kommune sein, und wenn dieser wegfällt, kann die gesamte Region darunter leiden. Für andere mag der Übergang reibungsloser verlaufen, mit nur einer kleineren Umschulung, die ausreicht, um die gleichen Aufgaben unter emissionsärmeren Bedingungen zu erfüllen.
Ein gerechter Übergang bedeutet, dass niemand zurückgelassen wird. Das Konzept des gerechten Übergangs, das ursprünglich von den Gewerkschaften auf der COP16 in Cancún, Mexiko, propagiert wurde, fordert einen Übergang für die bestehenden Arbeitskräfte und die Schaffung von menschenwürdiger Arbeit und hochwertigen Arbeitsplätzen. Ein sozialverträglicher Übergang erfordert Pläne, politische Maßnahmen und Investitionen, die sicherstellen, dass Gemeinden den erforderlichen rapiden Veränderungen zu Erreichung der internationalen Klimaziele standhalten können. Es erfordert neue Arbeitsplätze durch die Nutzung neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten sowie eine minimierte Unterbrechnung für die Menschen und Gemeinden, die derzeit von der fossilen Wirtschaft abhängig sind.
Aber warum sollte das die Unternehmenswelt interessieren?
Sind es nicht die Regierungen, die für den Schutz der Arbeitnehmerrechte, die Ausbildung und die Umschulung zuständig sind? Sollten Unternehmen nicht einfach nach eigenem Ermessen entlassen und einstellen können? Wenn bestimmte Geschäftsbereiche unrentabel werden, liegt es sicher im Interesse des Unternehmens, umzustrukturieren, Anlagen zu verkaufen, Teile der Belegschaft zu entlassen und neue Talente nur in profitablen Bereichen einzustellen.
Aber ein gerechter Übergang ist der einzige Übergang, der wirtschaftlich sinnvoll ist. Es ist einfach, über die Chancen für Unternehmen zu sprechen, über neue Arbeitsplätze, Innovationspotenziale und neue Märkte, aber wenn es zu den unvermeidlichen Umstrukturierungen und Entlassungen kommt, müssen die Unternehmen sich vor Augen führen, wie ein ungerechter Übergang aussehen würde, um den Wert eines gerechten Übergangs zu erkennen.
Ein ungerechter Übergang wird kostspielig!
Alle Unternehmen mit einem Net-Zero-Ziel für 2050 stehen vor großen Entscheidungen darüber, wie sich ihr Geschäft verändern muss, manche früher als andere. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die erforderlichen Änderungen zu einer teilweisen oder vollständigen Umstrukturierung und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen führen werden. Wie viele, wo und wann, hängt von der jeweiligen Branche und dem konkreten Unternehmen ab. Wenn Unternehmen nicht entsprechend für diese Arbeitsplätze und letztlich ihre Gemeinden planen, können enorme Kosten entstehen.
Es gibt viele Beispiele dafür, dass schlecht gemanagte Entlassungen Unternehmen teuer zu stehen kommen. Solche Kosten können durch Proteste, Streiks, Rechtsstreitigkeiten, Einnahmeverluste aufgrund eines verschlechterten Rufs, verringerte Produktivität der verbleibenden Belegschaft, erhöhte Fluktuation und Einstellungskosten oder all dies zusammen entstehen - bis hin zum Verlust der Betriebserlaubnis.
Unternehmen, die jedoch in der Lage sind, frühzeitig zu planen, Arbeitnehmer:innen umzuschulen und Entlassungen proaktiv als Teil eines sozialverträglichen Übergangs zu handhaben, können stattdessen den Wert nutzen, der mit der Verbesserung ihres Images und der erhöhten Produktivität einer gestärkten Belegschaft verbunden ist.
Ein ungerechter Übergang kann Menschenrechte verletzen
Viele Unternehmen rühmen sich damit die Menschenrechte zu achen und die weltweiten Arbeitsnormen einzuhalten. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) besagen, dass Unternehmen die Verantwortung haben, die Menschenrechte zu achten. Von allen Unternehmen wird zunehmend erwartet, dass sie auch bei der Einführung neuer Geschäftsmodelle, bei Änderungen ihrer Tätigkeiten oder ihres Umfelds sowie bei der Aufnahme neuer Aktivitäten, Projekte und/oder Produkte die Menschenrechte mit der gebotenen Sorgfalt berücksichtigen. Unternehmen sollten tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte bewerten und angehen, die Reaktionen auf diese Auswirkungen verfolgen und transpart machen, wie sie damit umgehen.
Diese eher diffuse Erwartung wurde in den letzten Jahren in rechtliche Anforderungen umgewandelt, wie im Fall der EU-Taxonomie-Verordnung. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel bedeutet dies unter anderem, dass die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft angegangen werden müssen.
Unternehmen, die keinen gerechten Übergang in Betracht ziehen, laufen Gefahr, diese Menschenrechtsstandards nicht zu erfüllen. Wenn zum Beispiel ein Energieunternehmen gezwungen ist, ein Kohlekraftwerk zu schließen, können Hunderte von Menschen entlassen werden. Diese Arbeitsplätze können eine ganze Gemeinde ernähren, die im schlimmsten Fall isoliert liegt und keine Möglichkeiten für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten hat. Die Auswirkungen eines solchen ungeplanten und ungerechten Übergangs könnten sich also negativ auf das Recht der betroffenen Arbeitnehmer:innen auf menschenwürdige Arbeit auswirken und auch für die von diesen Arbeitsplätzen abhängigen Gemeinden menschenrechtliche Konsequenzen haben.
Auch wenn die Nichteinhaltung der Menschenrechte oder der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte keine direkten Rechtsstreitigkeiten nach sich zieht, können die Unternehmen mit anderen Konsequenzen konfrontiert werden, wie z. B. Rufschädigung, Misstrauen der Investor:innen oder Infragestellung der Genehmigungen für ihre Tätigkeit.
Unternehmen, die dagegen frühzeitig mit einer sorgsamen Planung beginnen und die Belegschaft im Rahmen eines sozialen Dialogs einbeziehen, sind auch in der Lage, mit den politischen Entscheidungsträger:innen zusammenzuarbeiten, um die gerechte Übergangsplanung zu beschleunigen und die Kosten und Auswirkungen für das Unternehmen zu verringern. Hilfreiche Schulungsprogramme und andere Bildungsangebote können dann beispielsweise in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden für Linderung sorgen.
Ein ungerechter Übergang könnte den Zugang zu Finanzmitteln blockieren
Seit 2015 (als der Begriff des gerechten Übergangs eine zentrale Rolle im Pariser Abkommen bekam) hat die Dynamik in der Investorengemeinschaft zugenommen. Mehr als 160 Investor:innen mit einem verwalteten Vermögen von 10 Billionen US-Dollar haben eine internationale Erklärung zur Unterstützung des gerechten Übergangs unterzeichnet.
Die Investor:innen werden nun ermutigt, gerechte Übergänge in ihre Anlagestrategie einzubeziehen, sich mit ihren Unternehmen zu engagieren, Kapital in Anlagen zu verlagern, die auf einen sozialverträglichen Übergang ausgerichtet sind, sich für entsprechende Richtlinien einzusetzen und weitere Kapazitäten in diesem Bereich aufzubauen. Dies wird bedeuten, dass in Zukunft die Frage, wie gut ein Unternehmen den gerechten Übergang berücksichtigt, ein Faktor für Investitionsentscheidungen sein und in seine ESG-Bewertung einfließen wird.
Auch der Green Deal der EU stellt den gerechten Übergang in den Mittelpunkt, indem er einen Mechanismus dafür vorsieht, der dazu beitragen soll, im Zeitraum 2021 bis 2027 mindestens 65 bis 75 Milliarden Euro in den am stärksten betroffenen Regionen zu mobilisieren, um die sozioökonomischen Auswirkungen des Übergangs abzumildern. Um die Anforderungen der EU-Taxonomie zu erfüllen, müssen die Unternehmen außerdem ein Mindestmaß an sozialen Schutzmaßnahmen einhalten und sich an den UN-Leitprinzipien und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen orientieren.
Der Übergang hat längst begonnen
Wir können bereits die erste Welle einer Klimapolitik und Klimagesetzgebung beobachten, die den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zur Wirklichkeit macht. Die niederländische Regierung hat 2018 die Installation von Gasheizungen in neuen Häusern verboten, kürzlich auch die britische Regierung, und zwar ab 2025. Großbritannien hat außerdem Verbrennungsmotoren in Neufahrzeugen ab 2030 verboten. Wenn Unternehmen nicht aus eigenem Antrieb umstellen wollen, wird die Klimapolitik und die Gesetzgebung sie schließlich dazu zwingen, damit die gemeinsamen internationalen Ziele erreicht werden können.
Unternehmen, die begreifen, wie sich ihre Net-Zero-Strategien auf die Belegschaft und die Gemeinden auswirken, und die sich am sozialen Dialog beteiligen, sind am besten in der Lage, Risiken zu vermeiden oder zu mindern und die damit verbundenen Chancen zu nutzen.
Wo anfangen? Verstehen und sich engagieren
Unternehmen, die begreifen, wie sich ihre Net-Zero-Strategien auf die Belegschaft und die Gemeinden auswirken, und die sich am sozialen Dialog beteiligen, sind am besten in der Lage, Risiken zu vermeiden oder zu mindern und die damit verbundenen Chancen zu nutzen.
Verstehen
In einem ersten Schritt sollten die Unternehmen bei der Ausarbeitung ihrer Net-Zero-Strategie prüfen, wie sich diese negativ auf die Menschenrechte auswirken könnte, um dann Maßnahmen zu ergreifen, die diese Auswirkungen verhindern oder zumindest abmildern. Dies wird auch als menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung bezeichnet. Wenn ein Unternehmen bereits solche Strategien formuliert hat, sollte es bei der Umsetzung dieser die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht beachten.
Sich engagieren
Alle Interessengruppen einzubeziehen ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses. Die IAO empfiehlt die gemeinsame Ausarbeitung von Plänen im Rahmen des sozialen Dialogs zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen sowie möglicherweise auch mit den Behörden und Gemeinden. Dies sollte alle Phasen der Übergangsplanung umfassen, von den ersten Gesprächen über Klimaschutzmaßnahmen über die Analyse und die Festlegung von Zielen bis hin zur Planung, Umsetzung, Überwachung und Berichterstattung.
Unternehmen sollten allen, die von der Umstellung bedroht sind, Zugang zu Informationen sowie Abhilfe verschaffen. Transparenz und Offenheit in Bezug auf die Bemühungen, Net Zero zu erreichen, sind der Schlüssel zu sozialverträglichen und geordneten Übergängen.
Wenn Unternehmen scheitern, sollten sie den potenziellen Opfern eines ungerechten Übergangs den Zugang zu Rechtsmitteln ermöglichen, indem sie beispielsweise einen wirksamen Beschwerdemechanismus einrichten oder derartige Mechanismen unterstützen.
Nach vorne schauen
Viele Unternehmen haben die COP26 als Sprungbrett genutzt, um unternehmenseigene Net-Zero-Strategien auf den Weg zu bringen, und sich zunehmend auf das Klima zufokussieren. Diese Pläne sind jedoch kurzsichtig, suboptimal und unvollständig, wenn nicht dabei berücksichtigt wird, was eine solche Net-Zero-Strategie für die Arbeitnehmer:innen und Gemeinden bedeuten könnte. Nur diejenigen, die einen gerechten Übergang ermöglichen, werden die notwendigen belastbaren Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um in den kommenden turbulenten Zeiten erfolgreich zu sein.
Über die Autoren
Thomas Trier Hansen ist Chief Advisor für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln bei Ramboll Management Consulting und hat in den letzten zwei Jahrzehnten in mehr als 50 Ländern an verschiedenen Aspekten der Menschenrechte gearbeitet.
Mit einem MSc in Klimawandel ist Jack Robinson ein aufstrebendes Talent, das sich auf die Überschneidung von Strategie, Kommunikation und Klimamaßnahmen spezialisiert hat.

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