Meike Verhey, Veronika Abraham
8. Februar 2021
Warum es bei der EU-Taxonomie-Verordnung um viel mehr geht als um das Klima
Die EU-Taxonomie-Verordnung wird den Großteil aller europäischen Finanzinstitute, aber auch Unternehmen, die keine Finanzprodukte anbieten, dazu verpflichten, die ökologische Nachhaltigkeit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten offenzulegen. Die ersten Berichterstattungen zur EU-Taxonomie werden bis Ende 2021 und im Laufe des Jahres 2022 fällig. Es ist also höchste Zeit, zu handeln.
Die EU-Taxonomie-Verordnung enthält sechs Hauptziele. Die ersten beiden beziehen sich auf die Abschwächungen der Auswirkungen des Klimawandels und Anpassung in Form von Resilienz. Sie stellen die derzeitigen Prioritäten dar und stehen daher im Mittelpunkt. Dies gilt nicht nur für die europäische Kommission, sondern auch für die EU-Mitgliedstaaten, lokale Behörden, Unternehmen und andere.
In diesem Artikel legen wir jedoch das Hauptaugenmerk auf die anderen vier Ziele und zeigen auf, warum diese nicht weniger wichtig sind und sich sogar als komplexer erweisen können als die beiden klimaspezifischen Anstrengungen. Die vier anderen Ziele sind: nachhaltige Nutzung von Wasser und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie gesunde Ökosysteme und biologische Vielfalt.
Die Verschmutzung unserer Ozeane, die Verknappung der Ressourcen und der Verlust der biologischen Vielfalt sind enorme Herausforderungen, denen wir uns in Wirtschaft und Gesellschaft stellen müssen.
Nehmen wir zum Beispiel die 13 Millionen Tonnen Plastik, die jährlich in die Ozeane gelangen, oder die Tatsache, dass 1 Million Arten bereits in wenigen Jahrzehnten womöglich ausgestorben sein werden. Andere Beispiele sind, dass die Menge des uns Menschen zur Verfügung stehenden Süßwassers innerhalb von zwei Jahrzehnten um ein Fünftel gesunken ist und dass wir bei Beibehaltung unseres derzeitigen Ressourcenverbrauchs bis 2050 das Äquivalent von fast drei Planeten benötigen werden.
Dies sind nur einige der vielen Probleme im Zusammenhang mit diesen übrigen vier Zielen. Die EU-Taxonomie wird eine wichtige Rolle bei der Bewältigung all dieser Probleme spielen und gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen.
Die EU-Kommission hat ihre Ambition, die Ziele des Pariser Abkommens bis 2030 zu erreichen, durch ein neues Ziels für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050, den Europäischen Green Deal, verstärkt. Zur Finanzierung des nachhaltigen Wandels und des europäischen Green Deal entwickelt die EU derzeit die europäische Taxonomie-Verordnung. Dabei handelt es sich um ein Klassifizierungssystem zur Ermittlung wirklich nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten.
Am 12. Juli 2020 trat die Taxonomie-Verordnung in Kraft, die eine Nachweispflicht festlegt. Und zwar sowohl für Finanzinstitute als auch für Nichtfinanzunternehmen anbieten.
Im Juni 2021 wurde darüber hinaus ein delegierter Rechtsakt zur Berichterstattung über die Anpassung der EU-Taxonomie erlassen. Dieser legt fest, welche Informationen die Unternehmen in ihrer Berichterstattung zu Umfang und Tätigkeiten gemäß der EU-Taxonomie offenlegen müssen. Diese Angaben sind erstmals ab dem 1. Januar 2022 fällig.
Angesichts dieses dringenden Zeitplans und der Erkenntnis, dass es sich dabei um einen recht komplexen und umfangreichen Rahmen handelt, ist es von entscheidender Bedeutung, so bald wie möglich mit der Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeiten an der EU-Taxonomie zu beginnen. Die Gründe für die Notwendigkeit einer Ausrichtung sowie die Auswirkungen und Struktur der EU-Taxonomie-Verordnung wurden in diesem früheren Artikel ausführlich erläutert.
Bisher hat die Europäische Kommission die Klimaziele in der Taxonomie hervorgehoben und ihnen Priorität eingeräumt - und das aus gutem Grund. Dies hat jedoch dazu geführt, dass den übrigen vier Umweltzielen bislang nur begrenzte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In den folgenden Abschnitten werden wir einen Einblick in die Bedeutung dieser Umweltziele geben und erläutern, wie wichtig und wertvoll es ist, diese Ziele eher früher als später in die Praxis umzusetzen.
Damit eine Wirtschaftstätigkeit mit der Taxonomie-Verordnung in Einklang gebracht werden kann, muss ein Unternehmen angeben, wie es wesentlich zu einem oder mehreren der sechs Umweltziele beiträgt, die anderen Ziele nicht wesentlich beeinträchtigen und darüber hinaus die sozialen Mindeststandards erfüllt. Die Kriterien für einen wesentlichen Beitrag und eine erhebliche Beeinträchtigung sind in den technischen Screening-Kriterien für jedes Umweltziel aufgeführt.
In der Taxonomie-Verordnung wurden die folgenden sechs Umweltziele festgelegt:
Die sechs Umweltziele der Taxonomie-Verordnung
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Klimaschutz
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Anpassung an den Klimawandel
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Nachhaltige Nutzung von Wasser- & Meeresressourcen
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Übergang zur Kreislaufwirtschaft
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Vermeidung von Umweltverschmutzung
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Gesundes Ökosystem
Bislang wurden nur die Screening-Kriterien für die ersten beiden Umweltziele festgelegt und als delegierter Rechtsakt verabschiedet. Finanzinstitute müssen die geforderten Kriterien bereits ab dem 1. Januar 2022 erfüllen, andere Unternehmen im Laufe des vergangenen Jahres 2022. Die übrigen vier Kriterien wurden am 15. Juli 2022 in einem komplementären Rechtsakt verabschiedet und gelten ab dem 1. Januar 2023.
Aufgrund der ambitionierten Ziele in der Klimapolitik lag der Schwerpunkt der Bemühungen der Europäischen Kommission zunächst auf den Zielen zur Eindämmung des Klimawandels und Resilienz. Wirtschaftstätigkeiten, die den Klimawandel abschwächen und sich an ihn anpassen, wurden bei der Entwicklung der Screening-Kriterien für die Taxonomie-Verordnung vorrangig berücksichtigt.
Ohne die Dringlichkeit einer Anpassung an die Screening-Kriterien für die Klimaziele außer Acht zu lassen, betonen wir die wachsende Bedeutung der übrigen vier Ziele. Letztlich ist eine vollständige Anpassung notwendig. Mit der Anpassung sollte lieber heute als gestern begonnen werden, denn die Auswirkungen auf Ihr Unternehmen sind erheblich.
Auf lokaler Ebene mag es zwar noch weitere Gründe für Ihr Unternehmen geben, aber beschränken wir uns hier auf diese im Allgemeinen:
In der Taxonomie-Verordnung wird für jedes Ziel festgelegt, wie ein wesentlicher Beitrag dazu aussieht (Artikel 12 bis 15), und es wird angegeben, welche Tätigkeiten für das Screening untersucht werden. Die Plattform für nachhaltige Finanzen hat die technischen Screening-Kriterien für die Ziele festgelegt, die im Sommer dieses Jahres in einem Bericht veröffentlicht wurden. Dieser Bericht war die Grundlage für den komplementären delegierten Rechtsakt, der am 15. Juli 2022 in Kraft trat.
Die Unternehmen müssen nun prüfen, ob ihre Geschäftsaktivitäten unter diese Kriterien fallen und inwiefern sie betroffen sind. Wenn sie dies jetzt schnell tun, werden sie ihren Konkurrenten voraus sein und möglicherweise attraktiver für Anleger:innen werden, die ein umweltfreundlicheres Portfolio aufbauen wollen. Dies ist ein Trend, der jetzt kurz nach der Einführung der Offenlegungspflichten bereits sichtbar wurde.
Dies betrifft vor allem Unternehmen mit potenziell starken Auswirkungen auf eines oder mehrere der Ziele, da die neuen technischen Screening-Kriterien zuerst für diese Aktivitäten gelten. Dennoch können bereits auch andere Unternehmen bei der Bewertung ihres potenziellen Beitrags zu den Zielen vorangehen, noch bevor ihre Tätigkeit in der Taxonomie erfasst wird. Denn im Laufe der nächsten Jahre werden immer mehr Branchen und Tätigkeiten einbezogen.
Auch kleinere Unternehmen werden ermutigt, ihre Ausrichtung an der Taxonomie zu bewerten und offenzulegen, da sie möglicherweise unter Druck des Marktes oder der Lieferketten stehen, auch wenn die EU-Verordnung sie (noch) nicht verpflichtet. Sie könnten von Investor:innen oder Kund:innen aufgefordert werden, Daten zu ihrer Taxonomie-Ausrichtung zu liefern.
Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich der Berichterstattungsrichtlinie ständig überarbeitet und könnte in naher Zukunft auch kleinere Unternehmen einbeziehen.
Obwohl die Kriterien für das Ziel der Eindämmung des Klimawandels recht einfach sind, sind die Anforderungen für die übrigen vier Umweltziele sehr viel komplexer. Die Screening-Kriterien für die Eindämmung des Klimawandels haben einen einzigen Indikator, nämlich das CO2-Äquivalent. Die technischen Kriterien für die übrigen vier Ziele stützen sich zwangsläufig auf viel mehr Indikatoren, da sie von viel mehr Faktoren abhängig sind und nicht auf einen einzigen Indikator heruntergebrochen werden können.
Ramboll analysierte im Auftrag der Europäischen Kommission die Auswirkungen verschiedener Wirtschaftstätigkeiten auf die vier anderen Umweltziele und stützte sich bei der Bewertung von Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung auf insgesamt 22 Indikatoren.
Es bleibt abzuwarten, wie die endgültigen Kriterien im Endeffekt für die verbleibenden vier Umweltziele strukturiert sein werden, aber es ist davon auszugehen, dass sie viel umfangreicher sein werden als für das Ziel der Eindämmung des Klimawandels. Dadurch kommt es unausweichlich zu einem komplizierten und zeitaufwändigen Anpassungsprozess.
Die Taxonomie-Verordnung für die vier Umweltziele Wasser, Kreislaufwirtschaft, Umweltverschmutzung sowie Ökosysteme und biologische Vielfalt wurde von der EU-Kommission Mitte Juli 2022 verabschiedet und muss von den Unternehmen ab dem 1. Januar 2023 angewendet werden. Obwohl die verpflichtende Umsetzung erst 2023 beginnt, ist es ratsam, so bald wie möglich mit der Anpassung zu beginnen, um bis dahin eine qualitativ hochwertige Bewertung und Offenlegung dieser Ziele zu gewährleisten.
Angesichts der Komplexität der Screening-Kriterien für diese Ziele wird eine gute Vorbereitung und ein gutes Verständnis der Ziele im Hinblick auf die spezifischen Aktivitäten Ihres Unternehmens von Vorteil sein.
Zu diesen Vorbereitungen könnten zum Beispiel die Berichte und Publikationen von einschlägigen Organisationen wie der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen herangezogen werden. Darüber hinaus ist es möglich, die aktuellen Aktivitäten im Lichte der bereits für die einzelnen Taxonomieziele zur Verfügung gestellten Informationen zu überprüfen.
Die Zeitspanne zwischen der Verabschiedung der Kriterien durch die EU-Kommission und dem Beginn der Berichtspflichten ist knapp bemessen. Sie beträgt lediglich ein Jahr, und wir sehen schon jetzt leichte Verzögerungen im Anpassungsprozess des Rechtsakts zum Klima. Obwohl dieser delegierte Rechtsakt für die Klimaziele bis Ende 2020 fertig sein sollte, ist er noch immer nicht verabschiedet, was auf eine Verzögerung des Prozesses hindeutet.
Dies dürfte sich auch auf den Zeitplan für die Festlegung der anderen vier Ziele auswirken, die bis Ende dieses Jahres verabschiedet werden sollten. Daher kann es für viele Organisationen und Unternehmen von großem Vorteil, wenn nicht sogar entscheidend sein, sich schon jetzt an diesen Zielen zu orientieren.
Obwohl es sich um sechs unterschiedliche Umweltziele handelt, gibt es einige Überschneidungen zwischen ihnen. Nehmen wir zum Beispiel die Ziele der Eindämmung des Klimawandels und der Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. Diese Ziele werden sich beispielsweise bei wirtschaftlichen Aktivitäten überschneiden, die eine Verringerung der Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe beinhalten, da dadurch sowohl die CO2- als auch die Emissionen anderer Luftschadstoffe zurückgehen.
Ähnliche Überschneidungen gibt es zwischen den Zielen "Wasser" und "Ökosysteme". Aufgrund der diversen Überschneidungen empfiehlt es sich, einen Gesamtüberblick über die für Ihr Unternehmen relevanten Bereiche zu gewinnen. Dadurch wird Doppelarbeit vermieden und ein effizienterer Abstimmungsprozess geschaffen, der Erkenntnisse darüber liefert, wo ein Beitrag zu mehreren Zielen gleichzeitig geleistet wird.
Neben der Taxonomie-Verordnung werden derzeit noch weitere Rechtsvorschriften und Regelungen zu den vier anderen Umweltzielen erarbeitet. Nehmen wir zum Beispiel die Rechtsvorschriften rund um den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Die Kommission entwickelt gerade einen Rechtsrahmen, der sicherstellen soll, dass alle Produkte für eine klimaneutrale, ressourceneffiziente und kreislauforientierte Wirtschaft geeignet sind, in der Abfälle möglichst vollständig vermieden werden. Im Kern geht es um die Überarbeitung und Erweiterung der Ökodesign-Richtlinie und die Festlegung von Grundsätzen für die Produktnachhaltigkeit, an denen sich künftig umfassendere politische und rechtliche Entwicklungen orientieren werden.
Darüber hinaus hat die Kommission eine EU-Strategie für biologische Vielfalt entwickelt, die auch eine Stärkung des EU-Rechtsrahmens für Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität beinhaltet. Die Kommission wird im Jahr 2021 rechtsverbindliche EU-Ziele zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme vorschlagen. Neben dem Naturschutz wird sich die Strategie auch auf Fragen der biologischen Vielfalt im Zusammenhang mit Bodenökosystemen, Landwirtschaft, Wäldern, Meeres- und Süßwasserökosystemen, städtischen Gebieten und Kontamination konzentrieren.
Diese verschiedenen Rechtsrahmen und Strategien werden eng an die EU-Taxonomie angelehnt sein. Dies bedeutet, dass die Angleichung an die anderen vier Umweltziele auch Erkenntnisse bringen wird, die in bevorstehende EU-Verordnungen einfließen werden.
Die fünf oben erläuterten Punkte verdeutlichen, warum Unternehmen und Institutionen jetzt über alle Umweltziele der Taxonomie-Verordnung nachdenken und sich nicht nur auf die Klimaziele konzentrieren sollten. Die Dringlichkeit der Angleichung und Offenlegung ist offensichtlich, und nachhaltige Aktivitäten stehen bei vielen Investoren schon jetzt im Fokus.
Mit einer schnellen Umsetzung können Unternehmen ihren Mitbewerber:innen einen Schritt voraus sein, indem sie die Anforderungen an die Anpassung der Taxonomie schnell erfüllen und die sich ihnen dadurch bietenden Möglichkeiten eingehend bewerten und nutzen. Wie immer gilt es, bei der Erledigung von Aufgaben besser einen Vorsprung zu haben als hinterherzuhinken.
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Meike Verhey
Senior Consultant, Strategic Sustainability Consulting Ramboll Management Consulting
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